Bezaubernde Dschinnya
Salman Rushdie meint: Wichtig sei, dass man Humor mitbringt für sein neues Buch.
Das müsste ein sehr spezieller Humor sein. Denn Dschinns kommen durch "die Ritzen" in unsere Welt, vor allem die dunklen, die die Menschen zuerst Richtung Himmel schweben lassen und dann dort oben zusammenstauchen, bis die Welt menschenleer ist.
Und es streiten zwei Philosophen, auch wenn sie seit 1000 Jahren tot sind. Glaube gegen Vernunft und so.
Und über die Inkohärenz der Inkohärenz wird diskutiert. Über das Nichtzusammenhängende des Nichtzusammenhangs.
Und der alte Hedgefonds-Krösus Oldville ist eine Beziehung mit der freizügigen Teresa Saca eingegangen, die früher mit Elián Cuartos liiert war und die jetzt ihren Namen zerschneidet wie eine ungültig gewordene Kreditkarte.
Ach, schwarze Kleidung trägt sie gern.
Während Mister Geronimo Müsli hortet.
Ella aß nie Eier ...
Kein Zauber
"Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" – das ist umgerechnet: 1001 Nacht. Rushdie transferiert ein Meer von Geschichten ins heutige New York (FAST ins heutige New York, es regiert eine Bürgermeisterin namens Rosa Fast).
Man staunt (wieder) über den grenzenlosen Reichtum seiner Fantasien und über die Albernheiten und über seine schreiberische Kraft gegen den religiösen Fanatismus.
Man ist aber auch ein bisschen enttäuscht, dass diesem Buch trotzdem wenig Zauber innewohnt. Kritiker freuen sich mehr als ... Leser.
Bringen wir etwas Ordnung ins Chaos: Es war einmal einer, der Ibn Ruschd hieß. und nein, das ist kein Witz von Rushdie. Ibn Ruschd gab es, einen arabischen Arzt und Philosophen im 12. Jahrhundert, der – jetzt wird es unerst – mit einem weiblichen Dschinn, einer Dschinnya, viele Kinder zeugte. Dschinnyas sind bekanntlich sexbesessen.
Naja, und 1000 Jahre später, wenn die die bösen Typen aus dem Märchenland kommen, kämpft die gute, bezaubernde Dschinnya mit den Urururururenkelkindern gegen sie.
Einmal zitiert Rushdie den Kollegen Vergil: "Alles, was dem Tod geweiht ist, berührt unser Herz."
Vergil sollte man lesen.
Salman Rushdie: „Zwei Jahre, acht Monate und 28 Nächte“ Übersetzt von Sigrid Ruschmeier. Verlag
C. Bertelsmann. 384 Seiten. 20,60 Euro.
Nur damit wir uns verstehen: Da sagt der spanische Filmregisseur Don Eduardo Muriel zu Beginn von "So fängt das Schlimme an", dass er etwas sagen will, und zwar über einen Freund und dessen "schamloses" Verhalten Frauen gegenüber / der eigenen Ehefrau gegenüber.
Nach 70 Buchseiten wird derjenige, dem es – stellvertretend für uns Leser – anvertraut werden soll, leicht unrund:
WAS LOS MIT DIR???
Aber er erfährt noch immer nichts, er bekommt von Don Eduardo nur die Rüge zu hören: "Wie eilig du es hast, mein ungeduldiger Freund!"
Lügenmärchen
Javier Marías hat ja recht. Weshalb sollen wir unstummeln? Weshalb sogar beim Lesen schnell sein?
Wer diese schönen und schön langen Sätze des spanischen Nobelpreis-Kandidaten nicht zu schätzen weiß, wird zumindest einsehen:
Marías kennt die Menschen. Man kann von ihm einiges lernen.
Durchaus möglich, dass er selbst, als er mit dem Schreiben des Romans begonnen hat, noch gar nicht genau wusste, wie er uns wohin steuert und warum.
Es kann sein, dass er zunächst generell die Verlogenheit zeigen wollte, die Täuschungen entlang der Linie zwischen Franco-Diktatur und Demokratie:
Denn plötzlich konnten alle ungestraft Lügenmärchen erzählen: dass sie eh Widerstand geleistet hatten und so weiter. Es gab eine Generalamnestie. Man schwieg über alles. Gerechtigkeit gab es nicht, gibt es nicht.
Wahrheit gibt es nicht.
"So fängt das Schlimme an" (wie so oft bei Marías ein Shakespeare-Zitat im Titel) spielt hauptsächlich 1980: Langsam erst wurde in Spanien wieder eine Scheidung möglich.
Franco hatte sie verboten, denn Klerikalfaschismus brauchte Klerus.
Man war zum Zusammenbleiben gezwungen.
Nie geheiratet
In dieser Zeit sehen wir den Filmregisseur, wie er seine etwa 40-jährige Ehefrau Beatriz berührt, als wäre sie ein Mehlsack.
Wie er sie ansieht, als wäre sie ein Elefant.
Wie er sie "Talgkloß" schimpft und Schlimmeres,
Und sie, Beatriz, sie fleht trotzdem um seine Liebe: "Es tut mir leid, Liebling, dass ich dir wehgetan habe!"
Was ist da passiert?
Das werden wir hier mit Sicherheit nicht verraten, denn das wäre so wie: Jemand bestellt eine Melange und ein Kipferl, ein weiches Ei und Honig und Butter ... und am Nebentisch sagt ein anderer bloß zwei Wörter:
"Mir auch."
Nein, das kann nicht sein, dass einer die ganze Arbeit hat. Denn es ist schon auch Arbeit, das Geheimnis dieser Ehe zu ergründen.
(Javier Marias, eben 64 geworden, war übrigens noch nie verheiratet. Er mag die Ehe nicht. Er mag nicht, dass jemand alles mitkriegt, was er tut.)
Filmstars
Ginge es nur um diese eine Antwort, warum Don Eduardo derart gemein ist – die 640 Seiten Roman hätten eine feine 100-Seiten-Novelle sein MÜSSEN.
Aber es geht ums Flanieren im Kopf. Man begegnet im Buch Perversitäten der Geschichte – Marías Vater (Philosoph) war ein Verfolgter des Franco-Regimes.
Man begegnet Filmschauspielern wie Jack Palance und Herbert Lom – Onkel Jess Franco war Filmregisseur (Horror, Porno).
Die Traumwelt des Kinos passt hervorragend zur hohen Kunst der Täuschungen, die Javier Marías seit seinem Weltbestseller "Mein Herz so weiß" von Mal zu Mal für uns durchschaut hat.
Info: Javier Marías: „So fängt das Schlimme an“. Übersetzt von Susanne Lange. Verlag S. Fischer. 640 Seiten. 25,70 Euro.
Etwa 30.000 neue Romane erscheinen jedes Jahr im deutschsprachigen Raum, und da ist es auch schon egal, ob ein etwas älterer Roman noch einmal kommt, in einem anderen Verlag, leicht überarbeitet, ergänzt – so, dass man vielleicht nicht gleich merkt, dass "Reisen im Licht der Sterne" schon vor einem Jahrzehnt gefallen hat.
Der Schweizer Alex Capus hat einen Schatz gefunden: eine Abenteuergeschichte, die gut klingt und zu Robert Louis Stevensons "Schatzinsel" passt.
Es ist eine Vermutung,die Capus mit nahezu wissenschaftlicher Akribie vorträgt: Die "Schatzinsel" gibt es – allerdings nicht, wie Glücksritter früher vermuteten, vor der Küste von Panama.
Sondern im Königreich Toga, Tafahi heißt demnach die Insel, auf welcher der tatsächlich 1821 geraubten Kirchenschatz von Lima – Hunderte Kilo Gold und Silber und Edelsteine – versteckt worden sei.
Zwölf Diener
Stevenson habe sich 1890 mit immer mehr aus Schottland anreisenden Familienmitgliedern auf der Nachbarinsel Samoa niedergelassen, um von dort aus den Schatz selbst zu bergen.
Man könnte es glauben.
Man könntet ganz vergessen, dass es sich um Spekulationen handelt.
Stevenson hatte auf seiner Plantage ein großes Haus und zwölf Hausdiener.
Alex Capus erlaubt sich den zusätzlichen Hinweis, dass der Stiefsohn ein Pferd hatte, und auch die Reitstiefel waren teuer.
Es ist ja egal, es macht nichts, die Schatz-Geschichte funktioniert (und man sieht sich unter Kokospalmen liegen). Aber an dem Holzhaus wurde zwei Jahre gewerkt, der Verkauf des schottischen Domizils brachte den Stevensons Geld, außerdem war der lungenkranke Schriftsteller in seinen letzten vier Jahren sehr produktiv und kein armseliger Arbeitsloser.
Alex Capus weiß offensichtlich ja auch, wie man sparen kann: Im Anhang bedankt er sich u. a. beim Kanton Solothurn, der für seine Flugtickets nach London, Edinburgh, L. A. und Samoa aufkam.
Alex Capus: „Reisen im Licht der Sterne“ Hanser Verlag. 224 Seiten. 20,50 Euro.
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