KURIER: Ich habe von einigen Autoren gehört, dass sie keine Drehbücher mehr schreiben wollen, weil Regisseure und Darsteller dazu neigen, sich die Dialog-Texte „mundgerecht“ zu machen oder „Spielraum für Improvisationen“ lassen zu wollen. Der Autor, dessen Letztentscheidung bei Theaterstücken und Romanen gewahrt zu sein scheint, wird da ständig herausgefordert. Wie gehen Sie damit um?
Daniel Kehlmann: Beim Film hat der Autor eben keine Letztentscheidung. Das weiß man vorher, wenn man das nicht akzeptiert, kann man nicht für den Film schreiben. Die Lösung ist: Man muss mit Regisseuren arbeiten, denen man vertraut. Im Idealfall mit guten Freunden. „Kafka“ war für mich so ein Idealfall.
Wie war es nun für Sie, Kafka zur Hauptfigur einer TV-Reihe zu machen?
Man wird bescheiden als Schriftsteller, wenn man sich mit Kafka beschäftigt. Man kann keine Kafka-Sätze erfinden, sein Denken und seine Formulierungskunst sind so einzigartig, dass man ihn nicht imitieren kann. Wenn Kafka bei mir spricht, sind es meist echte Sätze, die er in Wirklichkeit gesagt oder geschrieben hat.
Passt eine TV-Reihe zu Kafka besser als ein Kinofilm?
Eine Serie eignet sich immer gut dafür, eine Lebensgeschichte zu erzählen, und zwar gar nicht so sehr der Länge als der Widersprüche wegen. Folgen einer Serie können einander widersprechen, eine Serie kann z. B. einen Erzähler haben, der sich ständig selbst ins Wort fällt und neu ansetzt. In einem Film wäre so etwas atemlos, eine Serie hat aber die Zeit dafür.
Wir neigen dazu, politische und gesellschaftliche Gegebenheiten als „kafkaesk“ zu bezeichnen. Fallen Ihnen dazu auch jüngste politische Ereignisse in Österreich ein?
Nicht um der Frage auszuweichen, sondern ganz im Ernst: Ich vermeide das Wort „kafkaesk“. Je mehr man sich mit Kafka beschäftigt, desto mehr verflüchtigt sich dieses Wort. Kafka hat wie vielleicht niemand vor ihm das neue Phänomen der Bürokratie gesehen und in seinem eigenen surrealen Stil ins Wort gebannt. Aber es ist nichts damit gewonnen, irgendwelche Bürokratien einfach „kafkaesk“ zu nennen. Ich habe das Gefühl, dass man der ungeheuren Schärfe seiner Erkenntnisse etwas wegnimmt, wenn man sie so auf ein Wort, auf ein Siegel bringt.
Woher kommt, Ihrer Meinung nach, der zunehmende Rechtsruck in den westlichen Demokratien? Ist der dem Populismus geschuldet, oder sitzt der Wunsch nach „starken Männern“ tiefer?
Im Sinne Kafkas, der sich ganz unfähig fühlte zur politischen Analyse und der eigentlich in unserem Sinn nicht einmal Meinungen hatte, sollte ich vielleicht an diesem Ort keine großen, überschauenden Theorien dieser Art entwickeln. Ich gehe aber doch so weit zu sagen: Eine große Schuld trifft die sozialen Medien. Die Überhitzung, die ständige wahnhafte Wut, die Verschwörungserzählungen und die tiefe gesellschaftliche Spaltung – das hat viel mit den verhaltensbeeinflussenden digitalen Algorithmen zu tun, in deren Griff ein großer Teil von uns schon das ganze Leben hinbringt.
Was ist Ihre größte Sorge, was den heutigen Zustand er Welt betrifft? Krieg oder Umweltkatastrophen?
Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, früher oder später wird die Umweltzerstörung auch zu Kriegen führen, es gibt hier also leider keinen Gegensatz.
Wie sehen Sie die Rolle Europas im Machtverhältnis USA, Russland, China?
Wenn alles gut geht, könnte die EU zu einem großen Bereich der Rechtsstaatlichkeit, der Sicherheit und des Wohlstandes zwischen den beiden Weltblöcken werden. Aber wann geht schon alles gut?
Sie haben längere Zeit in den USA verbracht, sie leben jetzt in Deutschland und schreiben viel für Österreichs Theater- und Filmszene. Wo sehen Sie Ihre Heimat – sowohl die künstlerische als auch die persönliche?
Muss man eine Heimat haben? Zu Kafkas Zeit wurden die Kosmopoliten, ob jüdisch oder nicht, von den Nationalisten gerne als wurzellose Gesellen beschimpft. Zu dieser Wurzellosigkeit würde ich mich gern bekennen.
Ihr sehr erfolgreiches Stück am Wiener Burgtheater musste abgesetzt werden. Wie sehen Sie den Fall Teichtmeister – sowohl in Zusammenhang mit der Absetzung Ihres Stücks als auch, was die Reaktion der Öffentlichkeit und der Medien betrifft?
Ich habe aus dem Ausland die österreichischen Medien nur oberflächlich verfolgt. Ich glaube nicht, dass irgendetwas Lichtvolles zu dem Fall beitragen kann. Ich verstehe jedenfalls die Absetzung durch die Burgtheaterdirektion - es wäre schwer vorstellbar gewesen, dass ein Kollege einfach diese Rolle übernimmt und so spielt, als wäre nichts gewesen. Auch bei Florian Teichtmeister muss das Ziel Resozialisierung sein, nicht mittelalterliche Ächtung oder Rache. Ich wünsche ihm also, dass seine Therapie weiterhin erfolgreich ist und dass er irgendwann, irgendwo wieder ein normales Leben wird führen können.
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