Bestätigt: Sammlung Gurlitt geht nach Bern

Bestätigt: Sammlung Gurlitt geht nach Bern
Unter Raubkunst-Verdacht stehende Bilder bleiben aber in Deutschland.

Nun ist es also offiziell. Das Kunstmuseum Bern nimmt das millionenschwere Erbe des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt an.

Bestätigt: Sammlung Gurlitt geht nach Bern
Christoph Schaeublin of the Bern Art Museum speaks during a news conference on the collection from the late Cornelius Gurlitt in Berlin November 24, 2014. The Bern Art Museum has agreed to accept artworks from a billion-euro collection from the late Cornelius Gurlitt, a recluse whose trove included masterpieces looted from their Jewish owners by the Nazis. The Bern Art Museum discovered in May it had been named sole heir of Gurlitt, the recluse who secretly kept the collection of more than 1,200 artworks hidden for decades until tax inspectors stumbled upon them on a visit to his Munich apartment in 2012. REUTERS/Hannibal Hanschke (GERMANY - Tags: POLITICS SOCIETY ENTERTAINMENT)
Die Entscheidung sei dem Museum alles andere als leicht gefallen. "Triumphgefühle wären - auch angesichts der Geschichte, die auf der Sammlung lastet, völlig unangebracht", sagte Stiftungsratspräsident Christoph Schäublin bei einer Pressekonferenz am Montag. Die sogenannten Washingtoner Prinzipien will er strikt angewandt sehen. "Über die Schwelle des Kunstmuseums Bern kommen keine Werke, die als Raubkunst einzustufen sind."

NS-Raubkunst bleibt in Deutschland

Jene 590 Bilder der rund 1.500-Werke starken Sammlung, die unter Verdacht stehen NS-Raubkunst zu sein, sollen demnach zur weiteren Abklärung in Deutschland bleiben und an die Berechtigten zurückgegeben werden (380 Bilder konnten bereits dem Beschlagnahmegut der „Aktion Entartete Kunst“ zugeordnet werden). Dafür verpflichtet sich Deutschland, die Kosten für die Rückgabe von Bildern, die sich als NS-Raubkunst erweisen, zu übernehmen. Das Museum wird seinerseits auch eine Forschungsstelle einrichten, um sich in den Prozess einzubringen. Die Vereinbarung soll auch für jene Werke gelten, die in Gurlitts Salzburger Wohnung gefunden wurden.

Der im Mai diesen Jahres verstorbene Sohn eines NS-Kunsthändlers hatte das Berner Museum als Alleinerben eingesetzt. Seine Sammlung umfasst insgesamt mehr als 1.500 Bilder, darunter wertvolle Werke etwa von Matisse, Picasso, Renoir und Monet - siehe Hintergrund unten

1. Warum hat der Fall solche Bedeutung erlangt?

Als Einzelgänger, der jahrzehntelang auf einem Schatz aus einer in vieler Hinsicht dunklen Vergangenheit saß, wurde Cornelius Gurlitt zur Sinnfigur für blinde Flecken im Umgang mit der Geschichte. Doch der Fall zeigte auch blinde Flecken der Justiz auf: Wie mit NS-Raubgut umzugehen ist, die sich in privater Hand befindet, bleibt ein heikles Thema.

2. Was geschieht nun mit Gurlitts Erbe?

Das Kunstmuseum Bern nimmt das Erbe an, will aber Raubkunst "draußen lassen": Bilder, die unter Raubkunstverdacht stehen, bleiben im Besitz der Bundesrepublik Deutschland und Bayerns und werden von der von diesen beiden Körperschaften eingesetzten "Task Force" – einer Forschergruppe – bearbeitet. Werke, bei denen sich der Verdacht erhärtet, werden zurückgegeben. Das Schweizer Museum kann nachträglich "verdächtige" Werke an die Task Force übergeben.

3. Wie viele Werke werden untersucht?

Laut "Taskforce" sind 970 Werke auf ihre Herkunft zu überprüfen; ca. 380 davon konnten bereits dem Beschlagnahmegut der "Aktion Entartete Kunst" zugeordnet werden, für den Rest besteht der Verdacht, dass sie Privaten geraubt wurden. Es geht um Bilder aus Gurlitts Münchner Wohnung, aus seinem Salzburger Haus sowie um Kunst, die nach seinem Tod auftauchte, darunter Werke von Monet oder Rodin.

4. Was ist die "Aktion Entartete Kunst"?

Ab 1937 wurde in großem Stil Kunst, die die Nazis als "entartet" bezeichneten, aus deutschen Museen entfernt. Hildebrand Gurlitt, Vater von Cornelius, gehörte zu jenen Händlern, die diese Kunst weiter verkaufen durften; er behielt einiges selbst. Laut der Vereinbarung sollen diese Kunstwerke aus der "Sammlung Gurlitt" nun wieder an jene Museen verliehen werden, in denen sie einst hingen – es sei denn, sie wurden zuvor privaten Besitzern geraubt und müssen nun restituiert werden.

5. Wie viel Zeit hat die Task Force für die 590 Werke unter "Raubkunstverdacht"?

Viel zu wenig – das ist der große Haken des Deals. In der Vereinbarung steht, die Taskforce "wird die Provenienzforschung (...) im Laufe des Jahres 2015 im Wesentlichen abgeschlossen haben." Wer Fälle aus Österreich kennt, weiß, dass das unrealistisch ist. Bisher hat die Task Force erst zu drei Werken einen Bericht veröffentlicht.

6. Was wird dann aus den ungelösten Fällen?

Der Deal sieht mehrere Szenarien vor: Wird ein Raubkunstverdacht bestätigt, doch niemand erhebt Anspruch auf das betreffende Bild, soll dieses in Ausstellungen und in der Datenbank www.lostart.de präsentiert werden. Wird bis Ende 2020 kein Anspruch erhoben und bleibt der Raubkunst-Verdacht bestehen, geht das Werk an Deutschland. Lässt sich die Provenienz nicht klären, kann das Kunstmuseum Bern innerhalb von 24 Monaten entscheiden, ob es ein Werk annimmt oder nicht. Abgelehnte Kunst bleibt im Besitz Deutschlands; stellt sich bis 2020 heraus, dass es keine Raubkunst ist, kommt sie nach Bern.

7. Kann das Testament noch gekippt werden?

Eine Cousine Gurlitts erhebt Anspruch auf das Erbe; ein Gutachten zieht das Testament in Zweifel. Die Chancen auf Anfechtung sind gering, Deutschland wird dem Museum in Bern auch juristisch beistehen. Gurlitts Entscheidung, sein Erbe einer öffentlichen Institution zu geben, erscheint auch vernünftig; Private wären überfordert.

8. Ist Gurlitt ein Einzelfall?

Gewiss nicht. Viele Privatsammlungen beinhalten Kunst mit belasteter Vergangenheit – nur werden sie selten "ans Licht gezerrt", wie es bei Gurlitt durch eine Beschlagnahmung geschah.

1998 war ein Schlüsseljahr für die Diskussion um die Rückgabe von NS-Raubkunst - international, besonders aber in Österreich: Die Beschlagnahme der Egon Schiele-Gemälde „Bildnis Wally“ und „Tote Stadt III“, die als Leihgaben des Leopold Museums im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt worden waren, löste eine hoch emotionale Debatte aus.

Umdenken

Gleichzeitig lenkten Journalisten und Historiker den Blick auf zahlreiche andere Meisterwerke problematischer Provenienz, die sich noch in heimischen Museen befanden. Immer wieder kam dabei eine verwerfliche Praxis des Denkmalamtes nach dem Krieg zur Sprache: Oft wurden zwar enteignete Werke emigrierten Sammlern zugesprochen, aber mit einem Ausfuhrverbot belegt. Damit die Vertriebenen zumindest einen Teil ihrer Besitztümer an ihren neuen Wohnort konnten, mussten sie andere Werke der Republik überlassen.

Das Kunstrückgabegesetz, das im Dezember 1998 erlassen wurde, ermöglichte schließlich, den Leidtragenden dieser Praxis auch ihren „abgepressten“ Besitz zukommen zu lassen – vorausgesetzt, die Kunst war „unentgeltlich“ in den Besitz der Republik gekommen. Das Gesetz erfasst auch entzogene Kunstwerke, auf die die Rückstellungsgesetze der Nachkriegszeit nicht mehr anwendbar waren oder die – wegen dem Tod der Vorbesitzer – als „herrenloses Gut unentgeltlich in das Eigentum des Bundes übergegangen sind.

Das Kunstrückgabegesetz legte auch einen Modus zur Prüfung und Beurteilung der Fälle fest: Provenienzforscher des Bundes prüfen seither die Herkunftsgeschichten der Museumsbestände und erarbeiten Dossiers, die dann von einem Beirat beurteilt werden. Dieser Beirat empfiehlt wiederum dem bzw. der für Kunst und Kultur zuständigen Minister bzw. Ministerin, ob ein Werk zurückzugeben ist oder nicht. Dieser ist dazu ermächtigt – aber nicht verpflichtet – die Rückgabe zu veranlassen. Ein Ausfuhrverbot gilt für restituierte Kunstgegenstände nicht mehr.

"Wesentlich mehr als angenommen"

Bereits im zweiten Restitutionsbericht 1999/2000 musste festgestellt werden: „Es handelt sich dabei um wesentlich mehr Fälle als ursprünglich angenommen“. Ein Zwischenbericht im Jahr 2008 sprach von rund 10.000 Gegenständen, die vom Beirat zur Rückgabe empfohlen wurden – den spektakulären Fällen von Klimt- und Schiele-Gemälden standen ungleich mehr kleinere Kunstobjekte, Bücher und Dokumente gegenüber, deren materieller Wert gar nicht besonders hoch war.

Dass das Gesetz von 1998 nur Gegenstände erfasste, die „unentgeltlich“ in Bundeseigentum gelangt waren, wurde von den befassten Experten bald als Schwachstelle erkannt. Denn auch wenn die Republik den einst enteigneten Sammlern Geld für ihre Werke zahlte, änderte das nichts an der Zwangssituation: Da die betreffenden Kunstwerke ohnehin nie eine Ausfuhrbewilligung bekommen hätten, hatten die einstigen Besitzer gar keine andere Wahl, als dem Bund ihre Kunst zu überlassen. In diesem Sinn macht es juristisch auch keinen Unterschied, ob der bezahlte Kaufpreis „angemessen“ war oder nicht.

Die Novelle von 2009

In der novellierten Fassung des Gesetzes, die am 21.10.2009 im Parlament beschlossen wurde, fehlt nun der Zusatz „unentgeltlich“. Zudem sind nicht mehr nur „Kunstgegenstände“, sondern auch „sonstiges bewegliches Kulturgut“ in Bundesbesitz vom Gesetz erfasst - Voraussetzung, dass rückgabefähige Werke in Bundesmuseen inventarisiert sein mussten, entfiel. Zudem sind nun auch jene Werke erfasst, die sich zwar in österreichischem Bundesbesitz befinden, aber zur NS-Zeit außerhalb des heutigen österreichischen Staatsgebiets geraubt wurden.

Seitdem wurden zahlreiche Werke restituiert, die nach dem Krieg entgeltlich von der Republik erworben wurden. Die einst bezahlten Beträge müssen von den Erben im heutigen Wert zurückerstattet werden. In vielen Fällen – der Beethovenfries ist dabei sicher das prominenteste Beispiel - ist freilich schwer zu eruieren, inwiefern eine „Zwangslage“ dazu geführt hat, dass ein Kunstwerk in Bundesbesitz landete.

Viele Bundesländer erließen seit 1998 Bestimmungen zur Kunstrückgabe, die sich an dem Gesetz des Bundes orientieren. Im Detail bestehen jedoch zahlreiche Unterschiede.

Sonderfall Leopold Museum

Das Leopold Museum, dessen Schmuckstück „Bildnis Wally“ die Restitutionsdebatte maßgeblich mit bestimmt hatte, blieb von dem Gesetz allerdings unberührt. Zwar wurden zahlreiche Gutachten erstellt, die eine Ausdehnung des Kunstrückgabegesetzes auf die „Leopold Museum Privatstiftung“ – so der genaue Name der Trägerinstitution – befürworteten oder widerlegen, der Ton der Dabatte war über 10 Jahre lang äußerst rau. Letztlich aber blieb es bei der Einsicht, dass die Privatstiftung als Eigentümer der Sammlung nicht „Bundeseigentum“ sein kann – auch wenn die Stiftung unter maßgeblicher Beteiligung des Bundes errichtet wurde und Vertreter des Bundes im Vorstand sitzen.

2008 wurden schließlich unabhängige Provenienzforscher zur Sichtung der Bestände im Leopold Museum bestellt, seit 2010 beurteilt ein Gremium – nach dem Vorsitzenden, Ex-Justizminister Nikolaus Michalek, auch „Michalek-Kommission“ genannt, die Forschungsergebnisse, analog zum Rückgabebeirat des Bundes. Der Unterschied: Das Gremium kann nur festhalten, dass ein Werk zurückzugeben „wäre“, wenn das Leopold Museum dem Kunstrückgabegesetz unterläge.

Bestätigt: Sammlung Gurlitt geht nach Bern
LOS 7 PROPERTY FROM THE LEOPOLD MUSEUM, VIENNA EGON SCHIELE 1890 - 1918 AM RÜCKEN LIEGENDES MÄDCHEN MIT ÜBERKREUZTEN ARMEN UND BEINEN (GIRL LYING ON HER BACK WITH CROSSED ARMS AND LEGS) signed Egon Schiele and dated 1918 (lower right) black crayon on paper 44.4 by 29.3cm. 17 1/2 by 11 1/2 in. Executed in 1918. SCHÄTZUNG 700,000-1,000,000 GBP
Die Stiftung selbst erwachsen aus den Beschlüssen keine rechtlichen Verpflichtungen, man beteuert aber, nach „fairen und gerechten Lösungen“ im Sinne der Washingtoner Prinzipienzu streben. Im Fall des Leopold Museums bedeutete das, Vergleiche mit Erben einstiger Besitzer zu finden. Dafür brachte das Museum substanzielle Opfer: 2011 wurde das Schiele-Bild „Häuser mit Bunter Wäsche“ zugunsten des „Bildnis Wally“ um 27,63 Millionen Euro versteigert; im Februar 2013 versteigerte man drei Schiele Blätter um insgesamt 16,29 Millionen Euro, um sich mit Erben im Fall „Häuser am Meer“ zu einigen. Auch andere prominente Fälle wurden auf diese Weise geklärt, die Erforschung der Bestände dauert jedoch an.

Die wichtigsten Stationen im "Fall Gurlitt", der die Kunstwelt in Atem hält - auch weit über den Tod des Kunsthändlersohnes Cornelius Gurlitt hinaus.

- 22. September 2010: Cornelius Gurlitt wird auf einer Zugfahrt von Zürich nach München kontrolliert. Zollfahnder schöpfen Verdacht, es könne ein Steuerdelikt vorliegen.

- 23. September 2011: Das Amtsgericht Augsburg bewilligt einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss für Gurlitts Münchner Wohnung.

- 28. Februar 2012: Gurlitts Wohnung in München-Schwabing wird durchsucht. Die Fahnder entdecken rund 1280 wertvolle Kunstwerke. Der Fund wird geheim gehalten, eine Berliner Kunstexpertin mit der Erforschung der Herkunft beauftragt.

- 3. November 2013: Das Nachrichtenmagazin "Focus" bringt den Fall an die Öffentlichkeit und sorgt damit für eine Sensation.

- 11. November 2013: Die ersten 25 Werke werden auf der Plattform "lostart.de" veröffentlicht - nach und nach folgen alle weiteren unter Verdacht stehenden Werke. Eine Taskforce wird eingesetzt, sie soll die Herkunft der Bilder erforschen.

- 19. November 2013: Die Behörden teilen mit, dass Gurlitt Hunderte Bilder zurückbekommen soll, die ihm zweifelsfrei gehören. Den Angaben zufolge scheiterten mehrere Übergabeversuche.

- 23. Dezember 2013: Es wird bekannt, dass Gurlitt unter vorläufige Betreuung gestellt wird.

- 28. Januar 2014: Die Taskforce gibt bekannt, dass nach einer ersten Sichtung 458 Werke aus Gurlitts Sammlung unter Raubkunstverdacht stehen.

- 10. Februar 2014: Es wird bekannt, dass mehr als 60 weitere wertvolle Bilder in Gurlitts Haus in Salzburg gefunden wurden - darunter Werke von Picasso, Renoir und Monet. Später stellt sich heraus, dass es sich sogar um insgesamt 238 Werke handelt.

- 7. April: Gurlitts Anwälte unterzeichnen einen Vertrag mit der Bundesregierung, in dem der Kunsthändler sich bereiterklärt, Bilder, bei denen es sich um Nazi-Raubkunst handelt, freiwillig zurückzugeben.

- 9. April: Die Staatsanwaltschaft Augsburg gibt die beschlagnahmten Bilder nach mehr als zwei Jahren wieder frei.

- 6. Mai: Cornelius Gurlitt stirbt im Alter von 81 Jahren in seiner Wohnung in München, ohne seine Kunstsammlung noch einmal gesehen zu haben.

- 7. Mai: Laut Testament hat Gurlitt seine Sammlung dem Kunstmuseum Bern in der Schweiz vermacht.

- 19. Mai: Gurlitt wird in Düsseldorf im Grab seiner Eltern beigesetzt.

- 5. September: Im Nachlass von Gurlitt ist nach Angaben der Berliner Taskforce ein weiteres wertvolles Bild gefunden worden: Das Bild "Abendliche Landschaft" von Claude Monet.

- 17. November: Ein von Mitgliedern der Gurlitt-Familie in Auftrag gegebenes Gutachten des Psychiaters und Juristen Helmut Hausner wird bekannt, demzufolge Cornelius Gurlitt an "paranoiden Wahnideen" gelitten habe.

- 21. November: Es wird bekannt, dass das Kunstmuseum Bern das Gurlitt-Erbe annehmen will. Am selben Tag erhebt die Cousine von Cornelius Gurlitt, Uta Werner, Anspruch auf das Erbe des Kunstsammlers.

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