Besser barfuß im Schnee als ohne ein Buch

Besser barfuß im Schnee als ohne ein Buch
Der Inselstaat Island muss sparen. Nur das Budget für den Auftritt bei der Buchmesse Frankfurt blieb ungekürzt: Kultur kurbelt die Wirtschaft an.

Die 80-Jährige liegt in einer Garage mit einer Handgranate im Bett und schimpft über die isländischen Männer, die nur rülpsen und furzen können. Vier Mal war sie verheiratet und wurde zu einem "vrai connaisseur" entweichender Winde.
Auf Facebook hat sie viele Accounts, gibt sich als ehemalige Miss World aus und macht alle heiß ...

Sie ist eine Erfindung des poppigsten aller isländischer Schriftsteller: Hallgrímur Helgason ist am 20. Oktober in der Wiener Hauptbücherei zu Besuch.
Dass er die lustige Alte für den Roman "Eine Frau bei 1000 " erfunden hat, hat einen einleuchtenden Grund - wie er dem KURIER erzählt:

"Island ist groß. Aber Menschen gibt es wenige. Fährt man durch die gewaltige Landschaft und findet kein Leben, keine Häuser, niemanden, dann spürt man den Drang, selbst Leben zu schaffen. Wir tun unser Bestes, das Land mit erfundenen Typen und Geschichten zu bevölkern."

Elfen möglich

Der Inselstaat Island, knapp südlich vom Polarkreis gelegen, ist so groß wie Österreich und Slowenien zusammen. Aber auf 1 kommen nur 3 Einwohner (100 in Österreich).

Dass es Elfen gibt, halten 37 Prozent der 317.000 Isländer für möglich und 17 Prozent für wahrscheinlich.

An das Sprichwort, wonach es besser sei, barfuß im Schnee zu sein als ohne ein Buch, daran glauben alle - falsch, die Jugend nicht mehr so sehr. Die entwickelt sich lesefaul wie überall.

Aber noch ist Island Weltrekordhalter: Jede(r) liest durchschnittlich acht Bücher pro Jahr. Obwohl Bücher teurer sind als bei uns.
Und jede(r) ist ein Skalde: ein Dichter.

Schriftsteller eilen an finsteren Tagen zu fünf Lesungen hintereinander, und die Bibliothek in Reykjavík hat bis in die Nacht offen. 1,2 Millionen Bücher wurden 2009 ausgeborgt. Auch deshalb wurde die Hauptstadt zur UNESCO-Literaturstadt ernannt.
Klagenfurt mit nicht viel weniger Einwohnern hat nicht einmal eine Bibliothek.

Vulkanartig

Besser barfuß im Schnee als ohne ein Buch

Hallgrímur Helgason fragt sich ja selbst, was denn da passiert ist: Er trinkt abends in einem Gasthaus sein Bier, schon klopft ihm jemand von der FAZ auf die Schulter, und vom ORF kommt auch noch jemand wegen eines Interviews.

Die Literatur Islands hat sich erneuert. Vulkanartig. Auch durch die Krimis (von denen 100 auf Deutsch lieferbar sind). Aber sie war schon im 13., 14. Jahrhundert "dick" da - und notwendig, um in den elenden Zeiten mit Fantasien besser überleben zu können:

Ohne "Isländersagas" gäbe es die "Nibelungen" nicht und nicht den "Herr der Ringe" des Island-Fans Tolkien.
Außerdem hätten die Straßen Reykjavíks nicht so schöne Namen: Gunnarsbraut oder Skarphedinsgata.

Der S. Fischer Verlag hat alle zur Frankfurter Buchmesse, die Mittwoch beginnt, neu übersetzen lassen. Lesbarer gemacht. Sagenhafte, wunderbare 2700 Seiten mit Wikingern, lebenden Toten, Unheilmond ...

Noch immer steckt weiser Diskussionsstoff drinnen: Darf man, wenn man das Zeug hat, Leben zu retten und Trolle zu besiegen - darf man trotzdem sagen, dass man kein Held sein will und sich lieber als Muttersöhnchen zurückziehen?

Zusätzlich hat der Berliner Galiani Verlag den FAZ -Redakteur Tilman Speckelsen und die Illustratorin Kat Menschik extra nach Island geschickt, damit sie sich Berge und Wasserfälle anschauen und sehen, wo Grettir der Starke den Wiedergänger
Glámur besiegt hat.

Daraus sind die nacherzählten (fünf von 40) Isländersagas im Buch "Der Mordbrand von Örnolfsdalur" geworden. Ein Geschenk, auch für die Augen.

Macht der Literatur

Nach 600, 700 Jahren aber ging der Glauben an die Macht der Literatur verloren. Dann waren Banker die Helden. Spekulanten. Reiche. Bis zur Finanzkrise ab 2007.

Nun werden nicht alle den Ausspruch des Wirtschaftstheoretikers Keynes gekannt haben "Auf lange Sicht sind wir alle tot", jedenfalls wurden die Isländer (wieder) Dichter.

Wobei freilich und Gott sei Dank nicht jeder Bücher schreibt. Aber jeder hat Geschichten, die er vorträgt. Das hätte Nobelpreisträger Halldór Laxness (1902-1998) besonders gefreut, wenn man schon nicht auf seine Kapitalismus-Kritik hören wollte. Denn:
"Der Zungenschlag des Volkes ist kraftvoller als die Schreibtischspitzfindigkeit der Schriftsteller."

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