Potenzial
Spektakulär ist nicht das Format dieser Werke (das war bei Schieles Aquarellen auch nie der Fall), sondern das Potenzial, das in ihnen mitgedacht ist: Denn was Pichler (1936–2012) als Zeichnung oder Kleinplastik festhielt, war als „Unterirdisches Gebäude mit ausfahrbarem Kern“ angelegt, als „Stadt mit Klimahülle“ oder als „Sakrales Gebäude“.
Kunst diente Pichler als Möglichkeit, sich Räume – und den Platz des Menschen darin – in einer neuen Form vorzustellen, und sei es nur als Behauptung. Denn wenngleich sich Pichler im burgenländischen St. Martin einen eigenen Kosmos schuf, stellt das Gedachte das Gebaute doch in den Schatten.
In der Ausdehnung der Ideen – und beim schmalen Oeuvre realisierter Projekte – traf sich Pichler mit Friedrich Kiesler, jenem Architekten, Bühnenbildner und Maler, der 1890 geboren wurde und nach Erfolgen wie der „Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik“ in Wien anno 1926 nach New York übersiedelte, wo er 1965 starb.
In New York traf Pichler 1963 einmal mit Kiesler zusammen – doch es existieren keine Aufzeichnungen darüber, wie das Treffen ablief.
Begegnung
Die Schau im Belvedere 21 nimmt die Anekdote als Sprungbrett, um das Werk der beiden auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten abzuklopfen. Den Rahmen dafür bildet eine Ausstellungsarchitektur der Künstlerin Sonia Leimer, die mit einer geschwungenen Stellwand eine Raumteilung und Zonen für die Konzentration schafft.
Der benutzbare, dem „Design“ zuordenbare Teil von Kieslers und Pichlers Werk bildet dabei ein Ende des Spektrums: Pichlers „Galaxy Chair“ (1966) ist heute ein Sixties-Designklassiker, schon der Name platziert ihn aber im All. „Galaxien“ nannte Kiesler auch Raumgefüge ohne Anfang und Ende, in denen „praktische Skulpturen“ herumflottierten, wie er im Magazin LIFE 1952 erklärte: Zwischen Betrachtung und Benutzung der Dinge sollte bei ihm nicht unterschieden werden.
Das Element des Sakralen, das sich bei Kiesler wie bei Pichler findet, steht daher dem Design auch nur scheinbar entgegen. Mit einer Stele, „Totem for All Religions“ genannt, oder einem zuerst mit Plastillin auf einem Jausenbrettl ausgeführten, später in Bronze gegossenen Modell für eine „Meditationsgrotte“ schien Kiesler weniger an Glaubensrichtungen zu denken als an die Frage, was einem Ort Würde oder Stille verleiht.
Pichler suchte und fand solche sakrale Erhöhung oft in streng symmetrischen Arrangements wie der „Alten Figur“, die er für eine Foto auf einer Matratze neben seinem Bett platzierte – auch in ärmlichen Verhältnissen entfaltete das Ding seine Kraft.
Verblüffende Ideen sieht man auch in den Zugängen, die die beiden Künstler rund um das Thema Medien und Wahrnehmung entwickelten: Während Kiesler bereits 1938 „Sehmaschinen“ entwarf und dabei mitdachte, wie das Bewusstsein das Wesen der Dinge formt, nahm Pichler, inspiriert von Oswald Wieners „Bio-Adapter“, Ideen des Cyborgs und der Omnipräsenz von Medien mit Objekten wie der „Radioweste“ oder dem „TV-Helm“ (1968) vorweg.
Dass heutige Debatten um virtuelle Realitäten und Robotik hier nochmals neue Perspektiven eröffnen, liegt eigentlich auf der Hand. Die Werke von Pichler und Kiesler werden dahin gehend immer wieder neue Fragestellungen vertragen – und Ausstellungen wie diese.
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