Belvedere: Suche nach Klimts Häuptling der Aschanti
Im Prachtband über Gustav Klimt mit dem ehrgeizigen Titel "Sämtliche Gemälde", erschienen 2012, gibt es eine schmerzliche Leerstelle. Der Wiener Kunsthistoriker Tobias Natter hat zwar in dieses Werkverzeichnis ein ominöses Bild mit dem Titel "Kopf eines Negers" aufgenommen, er muss aber eingestehen: "Technik, Maße und Verbleib unbekannt." Daher sucht man eine Abbildung des Werkes vergeblich.
Der "Kopf eines Negers" – das Wort "Neger" hatte früher nicht die abwertende Bedeutung wie heute – war nur ein einziges Mal öffentlich ausgestellt: 1928 in der Secession aus Anlass des zehnten Todestages von Gustav Klimt. Laut Katalog handle es sich bei diesem Bild um eine Leihgabe aus "Privatbesitz". Es sei in "Öl" gemalt, also keine flüchtige Skizze zum Beispiel. Trotzdem gebe es, so Tobias Natter zerknirscht, "bis heute in der gesamten Klimt-Literatur keinen weiteren Hinweis auf dieses Bild".
Im Folgenden versteigt sich Natter zu absurden Spekulationen. Denn einerseits nimmt er als Entstehungszeit Klimts letzte Lebensjahre an, also die Periode 1914 bis 1918. Andererseits weiß er nur zu gut, dass Klimt nach 1900 keine Männerbildnisse mehr malte. "Wahrscheinlich" sei der "Kopf eines Negers" gar kein Porträt, so Natters Conclusio, sondern eine abgemalte Büste schwarzafrikanischer Stammeskunst. Denn Klimt besuchte 1914 in Brüssel das Musée de Congo. "Das Schönste" seien, schrieb der Malerstar tief beeindruckt, "die Plastiken dieser Congoneger" gewesen.
Alfred Weidinger, Vizedirektor des Belvedere, kamen Zweifel, als er die Ausführungen des Kollegen Natter las. Ausschließlich Indizien, keine Beweise, könnte man sagen. "Ich glaube nur, was ich sehe", sagt Weidinger. Er setzt daher Infrarotfotografie ein, wenn er tiefer liegende Malschichten von Gemälden ergründen will.
Los 53 bei der Auktion
Derzeit arbeitet er an einer Neuauflage seines 2007 veröffentlichten Werkverzeichnisses "Klimt". Und daher nahm er sich auch des "Negerkopfes" an. Er entdeckte, dass dieser in der 35. Kunst-Auktion von S. Kende in Wien Anfang Mai 1923 als Los 53 angeboten worden war. Die Provenienz "Privatbesitz" fünf Jahre später dürfte also gestimmt haben. Aber leider gab es auch im Auktionskatalog keine Abbildung.
Markus Fellinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Research Center des Belvedere, entdeckte wenig später über das Internet ein weiteres Exemplar – nun samt Abbildungsteil. Man orderte den Katalog. Und enthielt tatsächlich ein Foto des Porträts.
Weidinger konnte sogleich feststellen, dass der "Kopf eines Negers" tatsächlich von Klimt stammt. Denn im Hintergrund sind Blumengebilde auszumachen. "Dieses dekorative Element ist charakteristisch für Klimt, es taucht zum ersten Mal um etwa 1897/’98 auf", sagt Weidinger. Damals entstand das wichtige, ebenfalls mit Blumen verzierte "Bildnis Sonja Knips". Zudem muss sich der "Kopf eines Negers" nach Klimts Tod am 6. Februar 1918 in dessen Atelier befunden haben. Denn an prominenter Stelle im Bild wurde der Nachlassstempel aufgedrückt.
Gleiche Physionomie
Doch wann schuf Klimt das Porträt – und wen stellt es dar? "Wir wussten, dass Franz Matsch einen Afrikaner malte", erklärt Weidinger. "Der Kunsthändler Herbert Giese hat dieses Bild unter dem Titel ,Nubier mit Umhangtuch‘ in seiner Dissertation vermerkt. Und in einem Dorotheum-Katalog aus dem Jahr 1972 ist ,Der junge Negerhäuptling‘ reproduziert."
Weidinger stellte die beiden Fotos nebeneinander. Und siehe da: Matsch und Klimt, die in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts als "Künstler-Compagnie" die historistischen Theater und Palais der Monarchie ausgemalt hatten, müssen den "Neger" gleichzeitig porträtiert haben.
Eine Horde "Wilder"
Aber wann genau? Weidinger fragte sich, ob in jener Zeit ein Schwarzer in Wien lebte, den es zu malen lohnte. "Neger" waren damals eine Attraktion in ganz Europa. 1893 schlugen britische Kolonialtruppen den Stamm der Matabele nieder. Im Jahr darauf lud der geschäftstüchtige Afrika-Reisende Dr. B. Meyer eine Gruppe von 25 Matabele zu einer Europa-Tournee ein. Nach einer Ausstellung in Düsseldorf gastierte die Truppe zwischen Jänner und Mai 1895 in Wien – im "Thiergarten am Schüttel" im Prater. Da der "Menschenzoo" ein unglaublicher Erfolg wurde, entschloss man sich, auch im nächsten Jahr eine Horde "Wilder" einzuladen. Die Wahl fiel auf eine etwa 70-köpfige Gruppe der Aschanti, die zuvor bei der Budapester Millenniumsausstellung bestaunt worden war. Darüber berichtet Werner Michael Schwarz in seinem Buch "Anthropologische Spektakel. Zur Schaustellung ,exotischer‘ Menschen, Wien 1870–1910".
Die Aschanti lebten und leben im Gebiet des heutigen Ghana. Ab etwa 1680 gab es ein großes Königreich, für Wohlstand sorgten Goldreichtum und Sklavenhandel. Das Volk erdreistete sich, den europäischen Invasoren Widerstand zu leisten: Innerhalb von 70 Jahren – von 1826 bis 1896 – führten die Briten vier Kriege gegen die Aschanti, die schließlich, aufgrund waffentechnischer Unterlegenheit, kapitulieren mussten. Die Briten hatten Kanonen und Maschinengewehre eingesetzt.
Auch der Bohemien und Kaffeehaus-Literat Peter Altenberg wurde vom "Ashanti-Fieber" erfasst: 32 Skizzen über Beobachtungen, Gespräche und Gefühlsregungen brachte er 1897 in Berlin unter dem Titel "Ashantee. Im Wiener Thiergarten bei den Negern der Goldküste, Westküste" heraus. Einerseits kritisierte er die Herabwürdigung einer fremden Kultur und die Arroganz der Wiener. In der Szene "Complications" z. B. will eine wohlhabende Frau für ihren Sohn eine Aschanti kaufen, denn: "Keine Sprache spricht sie. Man hat sie in seiner Gewalt. Uns gehört sie."
"Reine junge Leiber"
Andererseits näherte sich Altenberg den Frauen auf ziemlich widerliche Art und Weise an. "Sir Peter", wie er gerufen wurde, schreibt: "Ich trete in die Hütte. Auf dem Boden liegen Monambô, Akolé, die Wunderbare und Akóschia. Kein Polster, keine Decke. Die idealen Oberkörper sind nackt. Es duftet nach edlen reinen jungen Leibern. Ich berühre leise die wunderbare Akolé. (…) Akolé war zu schön! Ich kniete mich nieder, küsste sie auf die Stirne, die Augen, den Mund – –. (…) Als ich wieder aus der Hütte trat, waren die Birken grau im Frühlichte und wie eins mit der nebeligen Luft, welche nach feuchter Frische duftete – – –."
Weil der "Menschenzoo" derart profitabel war, machte sich Victor Bamberger, der Sekretär des Tiergartens, 1897 selbst auf den Weg nach Accra, um einen Aschanti-Stamm zu rekrutieren. Nach 53-tägiger Seereise über Las Palmas nach Hamburg erreichte er mit seinen Schaustellern am 17. April 1897 Wien. Unter dem Titel "Die Goldküste und ihre Bewohner: Aschanti" gastierte die mehr als hundertköpfige Truppe bis zum 25. Oktober jenes Jahres.
In der Bilddatenbank der The Melville J. Herskovits Library of African Studies an der Northwestern University entdeckte Weidinger mehrere Foto-Karten mit dem Titel "Wiener Thiergarten 1897". Zu sehen sind brav posierende Aschanti. Auf einer Karte mit "Kriegern" sieht man ganz links einen leicht bärtigen Mann, der zwei "Wedeln" in der rechten Hand hält. Diese "Wedeln" sind das Herrschaftszeichen der Macht, so Weidinger, und der Mann ist somit jener, der von Gustav Klimt und Franz Matsch porträtiert wurde – eben der "Negerhäuptling".
Eine Berühmtheit
Über die Anno-Datenbank der Nationalbibliothek stöberte Weidinger zudem in Zeitungen. Auch 1897 waren die "Wilden" eine Sensation, einzelne von ihnen erlangten den Status einer Berühmtheit, darunter ein gewisser William R. Dowoonah. Er war das Stammesoberhaupt.
Weidinger, der praktisch jeden Urlaub in Afrika verbringt, um Herrscher zu fotografieren, prüfte den Namen in einem Melderegister in Ghana. Und er wurde fündig. So fügte sich eines zum anderen. Was Weidinger aber zu gerne noch wissen würde: Wo sich "der Kopf eines Negers" heute befindet. Sachdienliche Hinweise erbeten an Alfred Weidinger im Belvedere oder an:
thomas.trenkler@kurier.at
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