Bei Cindy ist jeden Tag Fasching

Bei Cindy ist jeden Tag Fasching
Die Schau „The Cindy Sherman Effect“ zeigt Werke der US-Künstlerin und ihrer Nachfolgegenerationen

„Lebst du noch, oder wohnst du schon im Museum?“

Diese Frage, adaptiert vom Slogan einer Möbelhauskette, ließe sich heute an sehr viele Kunstwerke richten. Denn der Begriff des „Zeitgenössischen“ ist schwammig geworden: Einerseits will er ein Kunstschaffen bezeichnen, das nah an der Gegenwart ist und die Umbrüche unserer Welt erhellend begleitet. Zugleich strebt ein Gutteil der zeitgenössischen Kunst nach möglichst rascher Kanonisierung und Musealisierung – der Betrieb läuft schnell, die Konkurrenz ist hart, das Publikum hungrig, und wer sich nicht rasch seinen Status gesichert hat, ist am Markt chancenlos.

Die Gruppenschau „The Cindy Sherman Effect – Identität und Transformation in der zeitgenössischen Kunst“ im Bank Austria Kunstforum wankt an der Kippe zwischen Musealität und Gegenwärtigkeit. Cindy Sherman (*1954) ist jedenfalls längst Teil des Kanons und gehört – mit Auktionspreisen von knapp vier Millionen Dollar für einzelne Werke – zu den teuersten Kunstschaffenden im Medium Fotografie.

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Formbare Masken

Vor allem aber etablierte Sherman mit ihren fotografischen Selbstinszenierungen einen neuen Bildtyp: Porträts sind bei ihr nicht mehr Ausdruck eines Charakters. Statt dessen ist Maskerade alles, Identität ist formbar.

Es ist dieser gedankliche Strang, den Kuratorin Bettina M. Busse in ihrer durchaus bildmächtigen Zusammenstellung verfolgt. Wobei nicht ganz klar ist, ob der so genannte „Sherman Effect“, also der Einfluss der Künstlerin, als historisches oder als gegenwärtiges Phänomen gelten soll: Diskurse rund um selbstbestimmte Geschlechteridentitäten sind ja mittlerweile schon bei volkstümlichen Sängern angekommen, und die gezeigten Künstlerpositionen sind großteils gut abgehangen.Da wäre etwa Gavin Turk, der in den 1990er-Jahren als „Young British Artist“ galt und 2010 Galerie-Besucher einlud, in Ton geformte Abgüsse seines eigenen Kopfs zu malträtieren. Pipilotti Rists Video „Ever Is Over All“ (1997) wurde schon in einem Beyoncé-Musikvideo recycelt, ist also bereits historisch. Der Film, in dem die Künstlerin Autoscheiben zertrümmert, lässt sich aber nur um ein paar Ecken (vermutlich geht es um Selbstermächtigung) mit Sherman verbinden.

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Leichter fällt der Konnex bei der Installation „Becoming“ von Candice Breitz (2003): Sie spielte Dialoge von Frauen in Hollywoodfilmen (u.a. Jennifer Lopez, Julia Roberts) nach; Sherman hatte mit ihren berühmten „Untitled Film Stills“ (1977 – 1980) Vergleichbares mit Standbildern versucht.

Für die angepeilten, breiten Publikumsschichten ist „The Sherman Effect“ damit eine gute Gelegenheit, sich mit der Tradition künstlerischer Selbstinszenierung vertraut zu machen. In der Wiener Institutionenszene setzt sich das Kunstforum mit der Schau zwischen die aktueller ausgerichtete Kunsthalle und das eher historisch-theoretisch aufgestellte mumok. Die nahe Sammlung Verbund, ein Kompetenzzentrum für Sherman in Wien, lieh der Schau zwei Werke der geistig verwandten Britin Sarah Lucas.

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Kippende Perspektiven

Eine Theorie, die erklärt, wie Shermans Werk in die Gegenwart reicht, bleibt die Schau jedoch schuldig: Die Zusammenstellung ist eher assoziativ und scheint stellenweise – etwa mit Werken von Eva Schlegel und Markus Schinwald – etwas beliebig.Dabei ist die Selbsterfindung nur ein Aspekt von Shermans Arbeit. Viel ließe sich auch über den Raum sagen, den die Künstlerin mit ihren Inszenierungen und Kameraperspektiven schafft: Mal wirkt sie in den Bildern eingezwängt wie ein gefangener Schmetterling im Glaskasten, dann scheint der Raum wieder zu kippen.

Ein Video von Ryan Trecartin und Lizzie Fitch, in der Schau vor gemütlichen Sofas abgespielt, treibt diese Freiheiten auf die Spitze. Der Film namens „The Re’Search“ spielt mit der Ästhetik von Youtube-Videos und lässt geschminkte und maskierte Jugendliche in Kulissen agieren: Ohne erkennbare Story sieht man, wie sich die Handy-Wackel-Ästhetik selbst entblößt.

Eine Kritikerin bezeichnete Trecartin 2012 als „Cindy Sherman auf Speed“, und tatsächlich hat der Amerikaner den Weg vom hippen Jungspund zum Kunstmarkt-Liebling in Rekordgeschwindigkeit zurückgelegt. Vielleicht wird eine Ausstellung bald seinen Einfluss würdigen.

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