Begegnung mit Armer-Wurm-ich

Samuel Selvon
Samuel Selvon (1923 - 1994): Die Arbeitsmigranten von den Karibikinseln reden erstmals Deutsch.

"The Lonely Londoners" ist berühmte englische Literatur, 1956 erstmals veröffentlicht und erst jetzt übersetzt worden:

"Die Taugenichtse" ...

Der Journalist Samuel Selvon – selbst 1950 aus den Tropen nach London gekommen – hat von den Männern der Commonwealth-Inseln Jamaika, Bahamas, Barbados etc. erzählt, die nach ihrer langen Schiffsreise auf dem Bahnhof Waterloo Station gestanden sind:

Wo kann ich wohnen? Wo gibt’s Arbeit? Wieso kosten die Zigaretten hier so viel?

Selvon hat versucht, ihnen ihre eigene Sprache zu geben, karibisches Englisch irgendwie.

Verspucken

Auf Deutsch bekommt man eine Ahnung – nein, mehr als eine Ahnung davon, wie das klingen mag. Beispiele:

Viele Migranten sehen nach Armer-Wurm-ich aus.

Heutzutage muss in England nur ein Mokka was Dummes machen, dass sie gleich alle runterreden.

Schmarotzer verspucken uns die Suppe.

Aber wir zwei beide, wir schaffen das.

(Ende.)

Dank an die preisgekrönte Übersetzerin Miriam Mandelkow in Hamburg. Bei manchen Formulierungen wird man vielleicht an Wolf Haas’ Brenner-Krimis denken.

1948 wurden Bewohner der Westindischen Inseln von der Labour Regierung als billige Arbeitskräfte herbeigelockt und willkommen geheißen.

Die Romanfigur Moses ist als früher Zuwanderer aus Trinidad gekommen. Gleich nach der Vorhut aus Jamaika, 493 Arbeitsmigranten der "Generation Windrush". "Windrush" hieß das Schiff, das sie brachte.

Neulinge nimmt Moses, weil er von Bekannten in der alten Heimat darum gebeten wird, oft in Empfang und hilft ihnen, sich im Alltag zurechtzufinden.

Er ist der Einzige, der zwar einen Job hat, aber den Optimismus, den hat man ihm ausgetrieben: Schon 1951, als die Tories regierten und Churchills zweite Amtszeit begann, nahm die Fremdenfeindlichkeit der Briten zu.

Moses erkannte, dass er gar kein erwünschter Londoner ist, sondern bloß ein geduldeter (und beschimpfter).

"Taugenichtse" gibt es zwar sehr wohl im Buch, denn es wird ein buntes Bild geboten: voller Migranten, die auf keinen roten Teppich warteten, sondern anpackten.

Und solcher, die sich einiges einfallen lassen, um den Staat "anzusaugen".

Vermischt

Es sind Episoden, die diesen Roman ausmachen. Geschichten von Moses, Sir Galahad, Cap, Bart, Lewis ...

Einer schnorrt vom anderen. Niemand gibt freiwillig etwas zurück.

Tragikomische Geschichten sind es – wie jene von der ersten Bekanntschaft mit dem Arbeitsamt.

Der eben in London eingetroffene Sir Galahad, so goschert war er, ist fix und fertig: Die Atmosphäre überfordert den jungen Mann – "die ist so dicht, da muss man sich eine Minute an die Wand lehnen."

Ein Ort ist das, "wo Hass und Ekel und Habgier und Bosheit und Verständnis und Sorge und Mitleid, wo das alles sich vermischt."

Samuel Selvon war 33, als er diesen Roman, seinen größten Erfolg, schrieb. Alt genug, um Moses Kluges sagen zu lassen:

"Wir leben alle zum Sterben, egal, was wir machen, so lange wir leben ..."

Samuel Selvon: „Die
Taugenichtse“
Übersetzt von
Miriam Mandelkow. Nachwort von Sigrid Löffler.
dtv.
176 Seiten.
18,50 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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