Avantgarde ist der "Berater für Übergreifende Fragen"
Früher haben wir uns über die absurden Berufsbezeichnungen in US-Unternehmen gewundert. „Second Key Account Senior Assistent Manager“ oder so. Von diesem Virus ist nun auch der heimische Kulturbetrieb infiziert.
Am Freitag erreichte uns die Einladung zu einer Pressekonferenz des Festivals Steirischer Herbst am 17. Juli: Intendantin Ekaterina Degot und ihr Team würden das „vollständige Programm“ vorstellen. Gezeichnet ist das Mail nicht nur von Heide Oberegger, der Pressereferentin, sondern auch von Arash Shahali, „Koordinator Internationale Medien und Fachbesucher*innen“, sowie Bernd Buchmasser, „Presse und Social Media Assistent“.
Für Schmunzeln hatte das Festival bereits im März gesorgt. Denn in der damaligen Aussendung wählte man eine pseudowissenschaftliche Sprache, für die Tomas Zierhofer-Kin als (mittlerweile zurückgetretener) Intendant der Wiener Festwochen schon im Vorjahr gewatscht wurde. Man teilte mit, dass „im Januar“ (warum nicht im Jänner?) Degot als Nachfolgerin von Veronica Kaup-Hasler, nun Kulturstadträtin von Wien, ihre Arbeit aufgenommen habe. „Die in Russland geborene Kuratorin für zeitgenössische Kunst ist bekannt für ihre stark kontextualistisch geprägte, antiformalistische Herangehensweise.“
Der Steirische Herbst „in seiner neuen Form“ – also doch nicht antiformalistisch? – verstehe sich als „umfassende Ausstellung mit performativen, diskursiven und filmischen Elementen sowie Installationen“. Er werde „seinen Fokus“ auf Zentral- und Osteuropa „intensivieren“ (?) und „dabei die komplexe interne Dynamik zwischen den Ländern, die normalerweise mit diesen Begriffen assoziiert werden, aber auch ihre Beziehung zum Rest der Welt, untersuchen“. Im Weiteren ist von „mikroglobalistischen“ Kontexten die Rede, den „kolonialen Interessen Österreichs in Italien und Slowenien in den 1960er Jahren“ (!) und von einem „geografischen Nexus“, in dem das Festival verortet sei.
Dessen neuer Titel „Volksfronten“ spiele „auf höchst unterschiedliche historische Kontexte an: die antifaschistische Solidarität der 1930er Jahre, die linke Plattform einiger europäischer Länder nach dem Krieg sowie eine ultrarechte nationalistische Gruppe in den USA“. Er verweise auf „aktuelle ideologische Kämpfe, die traditionelle Dichotomien“ hinterfragen würden und „die gute alte Volksfront des Antifaschismus in eine verschwommene, fragmentierte Menschenlandschaft im Sinne des visionären türkischen Dissidenten und Schriftstellers Nâzim Hikmet verwandeln“. Auf „Das Leben des Brian“ von Monty Python – „Wir sind nicht die Judäische Volksfront, sondern die Volksfront von Judäa“ – hat man leider vergessen. Wohl zu populär.
Das „Kernprogramm“, so die Aussendung weiter, werde von einem Kollektiv kuratiert, dem neben mehreren Kuratoren und der Chefkuratorin angehören: Henriette Gallus (Stellvertretende Intendantin), Christoph Platz (Leiter der Kuratorischen Belange), David Riff (Kurator für Diskurs), Jill Winder (Chefredakteurin), Birgit Pelzmann und Johanna Rainer (Kuratorische Assistentinnen) sowie Georg Schöllhammer (Berater für Übergreifende Fragen).
Mitte Mai stellte man das Programm vor: Eröffnet wird das Festival am 20. September mit einer Parade des 1962 gegründeten Bread & Puppet Theater, gefolgt von einer Performance des slowenischen Regisseurs Dragan Živadinov, Jahrgang 1960.
Es gibt eine szenische Konferenz des russischen Dramatikers Ivan Vyrypaev zum Thema „Allah vs. Coca Cola“, ein „groß angelegtes Happening“ von Igor & Ivan Buharov und so weiter. Als Höhepunkt werde Laibach „The Sound of Music“ neu interpretieren. Die mit Symbolen des Totalitarismus spielende Band coverte im Laufe der letzten vier Jahrzehnte viele Popsongs, darunter „Live is Life“ von Opus und grandios entlarvend „One Vision“ von Queen.
Klingt insgesamt aber ziemlich retro. Beim Erfinden neuer Berufe hingegen: Da ist man in Graz Avantgarde.
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