Sargnagel: "Fand grausliche Sachen immer witzig"
Das Café Weidinger am Wiener Gürtel. Vor einigen Jahren kannte man Stefanie Sargnagel hier namentlich noch nicht, obwohl sie Stammgast war. Fragte man den Kellner nach ihr, meinte der: "Sargnagel? Kenn i ned. Is die wer?“" Humoristin, Cartoonistin, Shootingstar der Literaturszene. Heute ist die Frau mit der roten Mütze bekannt. "Ah, die Frau Sargnagel. Na, die is no ned da." Wenig später kommt sie. Es ist ein schwüler Sommertag. "Gehen wir in den Garten", sagt sie. Der Kellner folgt uns und tauscht einen kleinen gegen einen Riesen-Aschenbecher aus. "Die Frau Sargnagel raucht a bisserl mehr."
Frau Sargnagel, wie geht’s?
Ja, eh normal
Hier ist ein Geschenk für Sie.
Sargnagel schält eine kleine Schachtel aus dem Geschenkpapier. Der Inhalt: Ein Aschenbecher, rot wie ihre Mütze, ihr Markenzeichen.
Nett. Sonst nehm ich zum Reinaschen, was grad da ist.
So beschreiben Sie es auch in Ihren Büchern, wo Sie einen am Tisch liegenden Champignon als Aschenbecher benutzen. Sie sind mit kurzen Texten im Internet bekannt geworden. Wenn jemand fragt, was genau Sie machen: Was sagen Sie?
Ich sag eigentlich Humoristik dazu, weil es Witze sind. Sowohl die Texte als auch meine Zeichnungen. Die sind ja auch eher cartoonhaft. Alles, was ich mache, geht in Richtung Satire oder Witze.
Vor Ihrem Durchbruch haben Sie einige Jahre im Callcenter gearbeitet und auf der Kunst-Uni studiert. Wie passt das eigentlich zusammen?
Ich bin da nicht so gezielt reingegangen. Ich hab’ immer gerne gezeichnet und wollte Grafikdesign machen. Aber weil ich die Schule abgebrochen hab und ein bissl rumgesandelt bin, ist es halt nicht so gelaufen. Dann hab’ ich mich auf der Kunst-Uni beworben, was gut war. Meine Eltern hat es beruhigt, weil ich bis dahin ja nix G’scheites gemacht hab’. So konnte ich wenigstens sagen, ich bin auf dieser Akademie angenommen worden. Das ist was Besonderes.
Und das Callcenter?
Meine Eltern waren selber nicht so die Ober-Achiever und hatten normale Berufe. Die Einstellung war, Hauptsache man arbeitet. Aber ich hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil ich ja wusste, dass ich gewisse Talente habe und sie nicht so nutze. Jetzt bin ich halt schon beruhigt, dass die Mama stolz sein kann.
Anfang Juli gab es Grund dazu, als Sie den Publikumspreis beim renommierten Bachmannpreis in Klagenfurt gewonnen haben. Seit wann schreiben Sie?
Ich hab schon mit 16 im Internet Sachen aufgeschrieben. Es gab zwar noch kein Social Media, aber Blogger-Communitys. Damals war das voll anonym und ich hab halt viel erzählt, was meine Freunde und ich so machen. Ich war auch in der Schule ein bisschen der Klassenclown und Alleinunterhalter. Aber ich wollte nie gezielt etwas mit Schreiben machen. Ich hab’ einfach Dinge aufgeschrieben, die ich lustig fand.
Wann wurde Ihnen bewusst, dass die Öffentlichkeit Gefallen daran findet?
Es hat sich langsam gesteigert, aber es gab schon einen Punkt, wo es mehr wurde. Das war, als ich meinen Fashion-Blog gemacht habe. Er hieß „ Gucci Banana“ und ich habe Leute auf der Straße von hinten fotografiert, die unabsichtlich etwas anhaben, was eigentlich ziemlich hip ist. Wenn das eine dünne, schlanke 20-jährige Frau in einer Metropole tragen würde, wäre es ein normaler Fashion-Blog. Aber bei mir hatte das halt eine alte Frau in Simmering an. Da wurde das Interesse immer größer.
Und Ihre Texte?
Es gab einen Typen, der so ein Ding hat, das „Rokkos Adventures“ heißt. Zwar nur mit kleiner Auflage, aber es hat Liebhaber, darunter viele Journalisten. Dort habe ich zum ersten Mal meine Facebook-Zitate in ein Printmedium getan und gesehen, das funktioniert. Der „Falter“ ist aufmerksam geworden. Kurz danach hatte ich meine ersten Lesungen.
Ein Auszug aus Ihrem Buch In der Zukunft sind wir alle tot – Neue Callcenter-Monologe: „20. Oktober 2013: Ich sollte aufhören den Orsch zu heben, wenn ich im Callcenter einen Schas lass, das ist zu auffällig.“ Man muss schmunzeln, weil man das vielleicht kennt. Trotzdem: Genieren Sie sich nicht, darüber zu schreiben?
Vielleicht tu ich das eh. Ich glaub, ich red auch so viel übers Gacken in Texten, weil ich mich oft gar nicht trau, bei Leuten aufs Klo zu gehen. Mit den Enttabuisierungen entspannt sich das ein bisschen. Vielleicht finde ich es auch lustig, weil eh jeder weiß, dass es so ist. Ich fand grausliche Sachen schon immer witzig und hab als Kind gern grausliche Sachen gezeichnet. Aber ich bin mit Deix-Büchern aufgewachsen, was mich sicher beeinflusst hat.
Manfred Deix, der im Juni verstorben ist, hat in einem Ö3–Interview einmal erzählt, dass er schon mit drei Jahren jedes Stück Papier vollgekritzelt hat. Wie war das bei Ihnen?
Ich habe natürlich nicht die Zeichenskills vom Deix, kann aber vielleicht besser zeichnen als der Durchschnitt. Ich hab immer gezeichnet, auch während der Schule. Was man gut kann, kristallisiert sich bei den meisten Leuten eh früh heraus.
Eine Freundin hat mir vor Jahren via WhatsApp eine sehr lustige Zeichnung geschickt, die unsigniert war. Beim Durchblättern Ihrer Bücher habe ich nun entdeckt, dass es Ihre war. Stört es Sie, wenn Ihre Cartoons anonym im Internet kursieren?
Eigentlich nicht. Ich schreibe oft meinen Namen nicht drunter, weil es mir ein bisschen egal ist. Aber wenn jemand Geld damit machen und T-Shirts mit meinen Cartoons drucken würde, würde es mich schon stören.
Beim Bachmannpreis haben Sie 7.000 € Preisgeld bekommen. Welchen Traum haben Sie sich erfüllt?
Keinen. Ich muss auch sagen, dass ich irgendwie immer knausriger werde, seit ich mehr Geld habe. Ich spüre auch zum ersten Mal Verlustängste. Ich habe das Stipendium, das ich vor zwei Jahren das erste Mal gekriegt habe, nicht angerührt. Man weiß als Künstler ja nie, wie lange eine gute Phase dauert. Plötzlich hat man viel Geld und dann zwei Jahre keins.
Irgendetwas hätten Sie sich doch gönnen können.
Einen teuren Laptop hab’ ich mir gekauft, weil ich weiß, dass ich den von der Steuer absetzen kann. Sonst hab’ ich nicht so große materielle Wünsche, außer wegfahren halt. Aber da finde ich es viel lustiger, wenn man günstig reist. In einem schönen Hotel ist mir oft fad.
Sie beschreiben in Ihren Kurztexten oft Reise-Erlebnisse. Woher holen Sie sich Ihre Ideen noch?
Spazierengehen finde ich immer recht gut, vor allem alleine. Die Leute glauben ja, ich schreib ganz viel betrunken, aber das stimmt nicht. Wenn ich in einem Lokal bin, red ich mit den Leuten und tippe nix ins Handy. Nur, wenn ich alleine bin nutze ich das Handy wie einen Gesprächspartner. Beim Spazieren gehen fällt einem viel auf.
Alkohol kommt in Ihren Texten sehr oft vor. Ist er so wichtig für Sie?
Ich hatte Zeiten, wo ich auf Expedition gegangen bin, von einem Tschocherl (Anm.: Wienerisch für Spelunke) zum nächsten. Das lässt aber auch nach, weil ich einfach nicht mehr so viel vertrage. Da muss man sich den Kater schon aufsparen, wenn einmal jemand Geburtstag hat.
Wohnen Sie noch im Gemeindebau?
Ich muss sagen, dass ich nicht weiß, wie viel mir von den ganzen Sachen bleibt. Wenn man die Hälfte für die Steuer wegdenkt, ist es vielleicht nur ein ganz normales Jahr.
So viel verdien ich jetzt auch nicht, dass ich schon ein schlechtes Gewissen hätte, im Gemeindebau zu wohnen.
Erkennen Sie die Leute dort?
Eigentlich kaum, was sehr angenehm ist. Aber sobald ich meinen Fuß in den 7. Bezirk setze, spricht mich immer irgendwer an. Also eindeutig dort, wo halt die Hipsters und Studenten wohnen und keine Arbeiter.
Dabei beschreiben sie keine Hipster.
Naja, ich schreibe aber auch nicht über den Alltag eines Arbeiters. Ich schreibe über den Alltag eines Künstlertypen, der halt ein bisschen herumsandelt. Da finden sich viele Kreative und Freaks wieder.
In Ihrem Bachmannpreis-Text „Penne beim Kika“, beschreiben Sie das Sandlermilieu und ein Lokal, indem viele gestrandete Existenzen verkehren. Waren Sie wirklich dort?
Wir waren im Kino und ich wollte danach Freunde treffen. Ich hab ein Lokal gesucht, in dem man was trinken und rauchen kann und hab keines gefunden. Da hab ich irgendwie dieses Tschocherl gesehen. Das war wirklich das ärgste Lokal, in dem ich je war. Da dürfen die Leute von der Gruft (Anm.: eine Obdachlosen-Einrichtung) hingehen: Ich glaube, deswegen war’s so arg.
Haben Sie in solchen Spelunken keine Angst?
Ich kenn das halt schon irgendwie. Wir waren als Jugendliche viel im Park unterwegs und haben dort auch einen Freund kennengelernt, den Michi. Der war immer wieder in der Psychiatrie auf Entzug und hatte ganz schräge Freunde. Da haben wir Abende mit völlig verrückten Psychotikern verbracht. Ich bin Härtefälle gewohnt.
Was hat Ihnen das gebracht?
Keine Ahnung, man hat das Gefühl, man hat viel erlebt. Es ist auch nie was Beängstigendes passiert. Wir waren auch immer eine Gruppe von Leuten, allein hätte ich’s nicht gemacht.
Hatten Sie nicht das Gefühl, den Leuten irgendwie helfen zu wollen.
Wie soll man jemandem helfen, der seit frühester Jugend drogenabhängig ist? Dafür gibt es eh Institutionen. Meine Mutter ist Krankenschwester und hat viel mit psychisch Kranken gearbeitet. Die hat immer gesagt: „Dir tan immer glei alle so leid. Die brauchen dir net leid tun.“ Sie war mehr die roughe. Außerdem hatten die Leute an dem Abend ja eh auch Spaß. Es ist nicht alles immer urtraurig.
Apropos rough: Sie haben sich im Juli öffentlich ein Scharmützel mit Autor Thomas Glavinic geliefert und sich gegenseitig beschimpft. Wie stehen Sie ein paar Wochen später dazu?
Eigentlich fand ich es peinlich, dass österreichische und sogar deutsche Medien das Thema aufgegriffen haben. Ich dachte mir: Hey kommt’s! Ich mein, das waren vier Zeilen. Manchmal unterschätze ich, wer das aller liest. Aber ich kenne ihn über ein paar Ecken und weiß ja, dass er sich nicht so wirklich unter Kontrolle hat. Ich glaub, das ist so ein Spinner. Ich wollte meinen Ärger kundtun, aber nicht, dass es derart in den Medien verhandelt wird. Dazu war es mir doch zu wurscht.
Dafür haben Sie, was sehr lustig war, in einer Buchhandlung Ihre Bücher über die von Glavinic gestapelt und ein Foto gepostet.
Ich war zufällig mit einem Freund in der Buchhandlung. Dann hatte ich diese Idee und fand’s selber witzig. Ich habe extra meine Bücher gesucht und über seine gelegt, aber ich habe sie dann auch wieder zurückgelegt.
Protest mit Humor ist das Beste. Vor kurzem wurden Fotos von iranischen Männern gepostet, die aus Protest gegen die Unterdrückung, die Kopftücher ihrer Frauen trugen. Großartig!
Hab ich gesehen, weil es meine Burschenschaft gepostet hat. Ein Familienmitglied zum Beispiel ist rechts rechts und so, aber wir verstehen uns trotzdem ganz gut. Wir sind halt verwandt. Mit 14 hab ich noch versucht, zu diskutieren, aber irgendwann gibt man auf, wenn man merkt, es hat keinen Sinn. Da habe ich auch gemerkt, dass Humor ur praktisch ist. Ich hab ihm die Sachen, die er gesagt hat, überspitzt nochmals gesagt. Dann hat er über sich selbst gelacht. Man kann den Leuten so die Meinung sagen, aber nicht böse.
Stehen Sie politisch auch deshalb links, weil eines ihrer Familienmitglieder rechts ist?
Eigentlich nicht, weil ich nicht ständig konfrontiert damit war. Ich habe auch das Gefühl, dass dieser Mensch früher eigentlich links war und dann irgendwann abgedriftet ist. Das ist kein normal konservativer Rechter, sondern eher ein Freak – wie diese Rosenkranz-Partie. Die sind ja auch nicht ein bissl konservativ und ausländerfeindlich, sondern geben all ihren Kindern germanische Namen.
Frau Sargnagel, was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?
Ich hab für den Bachmannpreis mit einem Freund ein animiertes Bewerbungsvideo gemacht. Mit dem würde ich gerne weiter Animationsfilme machen. Wir suchen gerade um Förderungen an. Also er braucht was, ich hab jetzt eh Geld. Ein Buch kommt auch.
Und sonst?
Natürlich würde ich mir gerne irgendwann eine Wohnung kaufen. Es gibt da auch so einen Traum, mit Freunden, die Kinder, aber wenig Kohle haben, eine Haus-WG zu machen. Aber das würde Unsummen kosten. So weit bin ich noch nicht. Und einen Kredit aufnehmen, will ich einfach nicht. Da habe ich so eine Aversion.
Stefanie Sargnagel, 30, heißt eigentlich Sprengnagel und wurde in Wien von ihrer Mutter, einer Krankenschwester, alleine großgezogen. Schon als Kind zeichnete sie gerne und schrieb mit 16 Jahren einen Internet-Blog. Dabei ging es Sargnagel, die vor kurzem beim Bachmannwettbewerb den mit 7.000 € dotierten Publikumspreis gewann, weniger ums Schreiben, als viel mehr ums Mitteilen. „Ich hab einfach Dinge aufgeschrieben, die ich lustig fand.“ Sargnagel brach die Schule ab, wurde aber Dank ihres Zeichentalents an der Akademie der Bildenden Künste in Wien aufgenommen. Dort studierte sie einige Jahre und jobbte nebenbei in einem Callcenter. Die Erlebnisse dort verarbeitete sie in Internet-Kurz-Texten und fand damit eine große Fangemeinde. Mittlerweile ist sie Vollzeit-Autorin, will aber keinen Roman schreiben, sondern lieber weiter Kurztexte verfassen, Cartoons zeichnen und Animationsfilme machen. Zuletzt hat Sargnagel das Buch „Fitness“ veröffentlicht. Ein weiteres Buch ist in Arbeit.
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