Dass in exakt denselben Räumen nun die sommerliche Schau „Fernweh – Künstler:innen auf Reisen“ (bis 24. 8.) stattfindet, ist ein Signal dafür, dass der seit Jahresbeginn amtierende Direktor Ralph Gleis den hauseigenen Sammlungen von Werken auf Papier und der Expertise der damit befassten Kuratorinnen und Kuratoren einen erhöhten Stellenwert einräumt.
Angesichts der zu füllenden Ausstellungsfläche hat Kuratorin Elisabeth Dutz Bildwerke aus dem Depot geholt, die von den Bildungsreisen von Adeligen im 18. Jahrhundert bis zur Weltumsegelung der österreichischen Fregatte „Novara“ (1857–1859) einen sehr weiten Bogen spannen.
Auf der Suche nach Formaten
Das ergibt viel Schauwert, aber auch einige Längen: Es wirkt ein wenig so, als sei die Albertina, die unter ihrem früheren Direktor praktisch nie Themenausstellungen zeigte, noch auf der Suche nach Formaten, um ihren Reichtum abseits der Fokussierung auf Meisterwerke oder prominente Namen zu vermitteln. Der kulturhistorische Kontext, in dem die Bilder entstanden und ihren Weg in die Sammlung fanden, wird dabei nur grob umrissen.
Einige „große Namen“ findet man in der Schau allerdings doch: So empfangen im ersten Saal vier Blätter mit Landschafts- und Architekturansichten, die niemand geringerer als Johann Wolfgang von Goethe während seiner Italienreise 1787 in Sepia-Technik festhielt.
Der Dichterfürst folgte wie viele Aristokraten seiner Zeit dem Ruf an den „Sehnsuchtsort“ Italien – und auch er engagierte für seinen Trip nach Sizilien mit Christoph Heinrich Kniep einen „Reisezeichner“, der den Amateur bei seinen eigenen Bildnotizen anleitete. Von Kniep selbst sind ebenso einige Werke in der Schau zu sehen, er brachte etwa eine „Landschaft bei Segesta“ minutiös aufs Papier.
Die "Grand Tour"
Der Ausstellungsparcours ist lose nach Reiserouten unterteilt, deren Destinationen praktischerweise auf Karten an der Wand mitgeliefert werden: Die „Grand Tour“ von England nach Italien macht den Anfang; antike Stätten in Italien, bei denen sich bald auch das Bürgertum klassische Bildung besorgte, folgen. Dem frühen Alpintourismus im 19. Jahrhundert ist ebenso eine Sektion gewidmet wie der „Romantischen Rheinreise“ zu Schlössern, Burgen und dem Kölner Dom, der in einer Darstellung von 1780 noch ein gotisches Überbleibsel war: Seine heutige Form fand der Bau erst ein Jahrhundert später.
Die Darstellungen taugen zweifellos für einen mentalen Kurzurlaub, nähren sie doch auch die romantische Vorstellung einer Zeit, in der das Reisen exklusiver war, die Destinationen weniger überlaufen und das Künstlerdasein darin bestand, sich mit Skizzenblock und Stift in die Schönheit der Welt zu versenken. Einige solcher Skizzenbücher, etwa von der Künstlerin Tina Blau und dem Maler Friedrich Gauermann, sind stille Highlights der Schau.
Tölpel-Touristen
Richtig interessant wird es freilich dort, wo die Romantik löchrig wird: Eine symbolistisch-düstere „Landschaft in den Hohen Tauern“ von Emilie Mediz-Pelikan (1901) ist vom Realismus so weit entfernt wie Neapel von Attnang-Puchheim. Carl Spitzwegs Darstellung von „Reisenden vor einem antiken Bauwerk“ von 1945 ist wiederum nah an der Karikatur und deutet darauf hin, dass Tölpel-Touristen schon lange vor dem Instagram-Zeitalter die Ewige Stadt bevölkerten.
Überhaupt wurde das Gesehene von den Reisekünstler:innen – die Inklusion von sechs teils kaum bekannten Frauen in die Schau ist dem Museum ein Anliegen - immer schon dramatisiert, gestrafft und imaginiert. Hier genauer hinzuschauen und auf die künstlerischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Regeln und Zwänge zu achten, wäre gewiss ein lohnender, gegenwärtiger Zugang. Die Sammlung gibt dabei gewiss noch Stoff für mehrere Ausstellungen her.
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