Was lässt sich einer Ansicht des Stephansdoms noch hinzufügen? Jeden Tag wird das Wiener Wahrzeichen von Hunderten, wenn nicht Tausenden Touristen fotografiert, seine Silhouette ist längst im kollektiven Gedächtnis abgespeichert und mithilfe von Büchern, Süßigkeitenpackungen und Souvenirs in alle Welt exportiert.
Stefan Oláh gelingt es dennoch, das scheinbar Altbekannte neu aufzuladen: Denn die Bilder, die der 1971 geborene Wiener mit einer analogen Großbildkamera und mit jeglichem Verzicht auf weitere Bearbeitung anfertigt, sind das Gegenteil von beliebig und fordern den Blick auf Besonderheiten heraus. Eine „analytische Blickschärfe“ attestiert Rolf Johannsen, Chefkurator der Heidi Horten Collection im Wiener Hanuschhof, dem Fotokünstler. Seine Bilder seien stets „Zeitdokumente, keine Postkartenidyllen.“
Das Museum, stets um neue Perspektiven auf Kunstwerke seiner Sammlung bemüht, konfrontierte Oláh mit zwei Künstlern, die ebenfalls für ihre Stadtansichten bekannt wurden: Der Aquarellist Balthasar Wigand (1770–1846), der der Biedermeier-Epoche zugerechnet wird, platzierte solche „Veduten“ gern in prächtigen Schatullen, die oft als Nähkästchen, aber auch als Aufbewahrungsboxen für Briefe verkauft wurden. Die Museumsgründerin Heidi Horten (1941–2022) schätzte diese Preziosen – für die nun gezeigte Ausstellung nahm man aber noch Objekte aus dem Besitz des Sammlers Christian Kuhn hinzu.
Rudolf von Alt (1812–1905), der im 19. Jahrhundert ein enorm umfassendes Werk von Stadtansichten der damaligen Monarchie geschaffen hatte, wurde Oláhs zweiter Sparringpartner. Der Fotograf baute dabei auf früheren Arbeiten auf: Auf Initiative des 2023 verstorbenen Historikers Leonhard Weidinger hatte Oláh bereits eine Serie von Bildern aus Perspektiven aufgenommen, die mit jenen des Malers weitgehend übereinstimmten. Die Arbeit, „Alt Wien Neu“, erschien 2017 als Buch.
Bei manchen der nun gezeigten Gegenüberstellungen sind die Spuren der Zeit unübersehbar: Die „Spinnerin am Kreuz“, die auf einer Wigand-Schatulle noch inmitten weiter Brachflächen zu sehen ist, erscheint heute entlang der Triester Straße von Wohnbauten umgeben. Auf Ansichten des Donaukanals, den der Biedermeiermaler schon als Wasserstraße mit Booten darstellte, fotografierte Oláh den „Twin City Liner“.
Doch gerade in den scheinbar unveränderten Ansichten macht sich die Zeit besonders bemerkbar: Eine Ansicht des Karlsplatzes wird in der zeitgenössischen Variante von einem Espresso-Kiosk bevölkert, die Fassade der technischen Universität ziert ein Graffito, daneben stehen zwei E-Scooter, die Kirche ist eingerüstet. Stadtmöblierungen, und die Spuren veränderter Mobilität interessieren Oláh– in früheren Projekten widmete er sich bereits Wiens Tankstellen oder Würstelständen.
Historische Künstler tendierten dazu, ihre Ansichten von weniger idyllischen Details zu säubern – wenn Menschen, Straßenverkäufer oder Fuhrwerke in den Bildern zu sehen sind, wurden sie oft als „Staffage“ ins Bild gesetzt. Die Maler tricksten auch mit Proportionen – Kirchtürme seien fast immer höher, sagt Kurator Johannsen, der Blick auf den Stephansdom ist auch bei dem für seinen Realismus gerühmten Rudolf von Alt enger und dramatischer. Somit hält die Gegenüberstellung letztlich dazu an, zu sehen, wie jede Zeit unweigerlich ihre Spuren im Bild der Stadt hinterlässt.
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