Schon vor der Omnipräsenz von Handykameras war es ein eingeübtes Ritual, angesichts großer, überwältigender Landschaften eine Kamera zu zücken. Dabei bringt dieser Reflex meistens Bilder hervor, die schon in hunderttausendfacher Ausführung existieren – an vielen Orten sind Aussichtsplattformen genau darauf ausgerichtet, das immer gleiche Panorama zu reproduzieren.
Die brillanten, großformatigen Fotografien von Joel Sternfeld, die die Albertina bis zum 21. Jänner in einer umfassenden Schau präsentiert, führen an jenen Punkt zurück, an dem Fotografen begannen, über solche Phänomene nachzudenken und sich von der Vorstellung einer unberührten Ideallandschaft zu verabschieden.
Die weiteren Aussichten
Sternfelds Serie „American Prospects“ (durchaus doppeldeutig mit „Amerikanische Aussichten“ zu übersetzen), die im Mittelpunkt der Ausstellung steht, entstand zwischen 1978 und 1986 auf mehreren „Roadtrips“ durch die USA. Der gebürtige New Yorker, der seine Karriere mit spontaner „Street Photography“ im Getümmel seiner Heimatstadt begonnen hatte, nahm auf die Reise eine große Plattenkamera mit: Was dabei an Spontaneität verloren ging, machte der 1944 geborene Künstler durch Detailreichtum, eine hochgradig durchdachte Bildkomposition und hintergründige Arrangements von Elementen wett.
Heute ist das Werk ein Klassiker der jüngeren Foto-Geschichte: Die in den USA auch hochgradig mit patriotischen und politischen Gefühlen aufgeladene Vorstellung der großen, weiten Landschaft wurde hier auf eine ebenso spektakuläre wie pointierte Weise durchleuchtet.
Dass Sternfeld in Farbe fotografierte, war dabei ebenfalls eine Ansage: Im Kunst-Kontext wurde diese Spielart der Fotografie lange als trivial geschmäht und der Werbung zugerechnet. Sternfeld aber nutzte Farbe virtuos, um Bildelemente zu verbinden und Aussagen zu treffen: In einem Foto harmonieren Kürbisse und Feuerzungen, in einem anderen wirkt die Kleidung einer Frau wie ein Echo der minutiös abgezirkelten Pflanzen und Steine in ihrem Vorgarten. Zufall gibt es in diesen Bildern kaum, Witz sehr wohl.
Trennlinien
Auch Sozialkritik wusste Sternfeld in seinen Bildern unterzubringen, wie Walter Moser, Leiter der Albertina-Fotosammlung, ausführt.
So bringt das Bild mit dem Titel „Hausbedienstete warten auf einen Bus“, 1983 in Atlanta aufgenommen (siehe unten), Trennlinien von Klasse und Ethnizität auf den Punkt – sind die drei Personen im Bild doch Schwarze, die offenbar nicht die Mittel für das idealisierte Vorstadt-Leben mit Haus und Garage besitzen. 40 Jahre später, angesichts von „Black Lives Matter“, einer von der Lebenswirklichkeit oft massiv abgehobenen Medienrealität und tiefer ideologischer Gräben in der US-Gesellschaft, lösen Sternfelds Bilder noch einmal ein anderes Echo aus.
Sternfeld war dabei nicht der erste, der die Brüchigkeit der Vorstadt-Idylle thematisierte – aber er tat dies in einer Weise, die viele andere inspirierte: Regisseure wie David Lynch („Twin Peaks“, „Lost Highway“) zählen ebenso dazu wie die Fotokünstler Jeff Wall und Gregory Crewdson.
Bereits 2012 hatte die Albertina dem Fotografen eine Ausstellung ausgerichtet, der Fokus lag damals auf dem Frühwerk. Kurator Moser hielt in Folge den Kontakt – und erreichte, dass Sternfeld dem Museum 349 Fotografien schenkte. In der Sammlung soll nun die Vernetzung mit anderen Dokumentaristen gelingen, die den Blick auf Landschaft und Gesellschaft revolutionierten.
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