Franz Kafka in der Madison Avenue

In seiner Unterschrift übersetzte Kafka gleich den Vornamen Franz ins Tschechische.
Wie sein letzter tschechischer Reisepass 90 Jahre nach dem Tod in New York auftauchte.

Kafka ist in Amerika aufgetaucht. 90 Jahre nach seinem Tod; und fast 90 Jahre nach Erstveröffentlichung seines unvollendeten Romans "Amerika" (= Der Verschollene) mit dem 17-jährigen Karl Roßmann, der von seinen Eltern in die USA geschickt wurde.

Damit er es weit bringt.

Tief und tiefer ging Karls Fall.

Kafka, der nie in der Neuen Welt war, ist jetzt in Amerika aufgetaucht: Denn sein letzter tschechischer Reisepass liegt seit Mitte Mai in der New Yorker Madison Avenue.

Fehlende Bild

Kafka, promovierter Jurist, unterschrieb mit "Dr.F. Kafka František".

Das Passfoto fehlt.

Zugelassen wurde der Ausweis 1922, gültig war er bis 1924. Länger brauchte ihn "der Dichter, der unser Jahrhundert am reinsten ausgedrückt hat" (Elias Canetti) auch nicht, denn 1924 starb er im Kierlinger Sanatorium.

Der Pass wurde von der Tochter einer gewissen Gerda Schulz ins Auktionshaus Bonhams gebracht.

Franz Kafka in der Madison Avenue
Kafka
Sofort verständigte man Marie Luise Caputo-Mayr von der (von ihr 1975 gegründeten) "Kafka Society of America" ein paar Straßen weiter.

Die versierte, aus Kärnten stammende "Kafkologin" soll helfen, das fehlende Foto zu finden.

Auf Marie Luise Caputo-Mayr wirkt die überraschende Ankunft des Passes "wie ein ironischer Nachsatz auf ein allzu kurzes Leben."

Der Kärntner Schriftsteller und Kafka-Forscher Janko Ferk ergänzt: "Es ist geradezu kafkaesk. Kafka hat es verstanden, uns Rätsel aufzugeben, die wir nie zur Gänze auflösen werden können. Er selbst sagt, wer alle Fragen beantwortet, hat die Prüfung nicht bestanden …"

Für den KURIER erläutert Frau Caputo-Mayr den Weg, den das Dokument genommen hat.

Kafka starb starb in Anwesenheit seiner Lebensgefährtin Dora Diamant und seines jungen Freundes Robert Klopstock (1899–1972), der Medizinstudent war und den Pass als Erinnerung an sich genommen hatte.

Termin im September

Mithilfe von Klaus und Thomas Mann gelang ihm 1938 die Flucht in die USA. Kafka flüchtete sozusagen mit. Klopstock wurde ein bekannter Lungenchirurg, lehrte in New York, war mit Einstein in Kontakt – und mit Salman Schocken (1877–1959), dem großen Verleger.

Ihm ließ er den Pass in einem Brief, 1946 datiert, zukommen: Schocken war der Erste in Amerika, der Kafkas Werke herausbrachte. Vielleicht verwendete er das – fein säuberlich herausgelöste – Bildfür eine Publikation.

Und die Exilantin Gerda Schulz ( 2013)? War eine Bekannte des Verlegers. Sie wird den Pass geschenkt bekommen haben. Die Tochter fand ihn nach ihrem Tod in einer Lade.

Geschichten, wundersame Geschichten. Im Nachlass von Kafkas Nachlassverwalter Max Brod (1884–1968), um den seit Jahrzehnten gerungen wird, hofft man auf weitere "Nachrichten".

Der Pass wird im September von Bonhams versteigert. Ausrufpreis zwischen 10.000 und 15.000 Dollar.

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