Auf die Gierigen wartet unten das Nagelbrett

Neel Mukherjee
Der Verfall einer Fabrikantenfamilie in Kalkutta nimmt einen mehr mit, als man gedacht hat.

Der Vater, dem es wieder nicht gelang, eine Schüssel Reis zu erbetteln, kommt über den leblosen Acker heim zur Hütte.

Zuletzt hatten seine drei hungernden Kinder Heu gegessen, im trüben Brunnenwasser gekocht.

Vater hebt seine Sichel.

Er tötet alle, auch seine Frau, dann sich selbst.

Er kehrt vom Nichts seines Lebens in Nichts zurück.

Das geschieht gleich auf Seite 11 von den mehr als 600 Seiten, und das vorschnelle Urteil, bei "In anderen Herzen" müsse es sich doch wohl um ein kitschiges Stück aus Indien handeln, ist damit rasch vom Tisch.

Didi, Dada

Die "indischen Buddenbrooks", so wird die Geschichte der Papierfabrikanten-Dynastie Gosh gern genannt. Die Familie aus Kalkutta fällt tief, unten wartet schon ein Nagelbrett (aber mit wenigen Nägeln, damit es weh tut).

Der in London lebende Neel Mukherjee hat damit nur knapp den Booker Prize 2014 verfehlt.

"In anderen Herzen" ist sein Porträt der Gierigen, plastisch, kämpferisch, schonungslos. Dass es Ende der 1960er-Jahre spielt, ist kein Grund, nicht ständig an die Gegenwart zu denken.

Mukherjee involviert uns – sofern wir’s ihm erlauben.

Er selbst hat sich in jede einzelne Romanfigur tief hineinziehen lassen, und es sind viele. So viele, dass es einige Zeit braucht, bis die drei Generationen im dreistöckigen Haus auseinanderzuhalten sind.

Dazu kommt noch: Didi ist die Bezeichnung für die ältere Schwester, Dada ist der ältere Bruder, Thakurda der Großvater väterlicherseits, Kaki ist die Ehefrau ...

Und es wird gevöllert im Haus, während Hungersnot herrscht "draußen". Oben wird gevöllert. Unten nicht. Unten wohnt "bloß" eine Angeheiratete, deren Mann gestorben ist. Die Witwe und ihre beiden Kinder bekommen Essensreste geschickt.

Und es wird gebetet im Haus. Die älteste Schwiegertochter hat die Pflicht, jeden Morgen in sämtlichen Räumen Kopra und Weihrauch abbrennen zu lassen. Die Glutpfanne, die sie mitschleppt, wird ihr allmählich zu schwer.

Nehmen, raffen

Ein Enkelkind bricht aus. Der 21-Jährige flüchtet zu den Armen, es wird bewaffneten Straßenkampf geben.

Seiner Mutter hinterlässt er die Nachricht: "Ich bin erschöpft vom Konsumieren, vom Nehmen, Raffen und Verbrauchen."

Um die Welt ins Gleichgewicht zu bringen, wollte er die Luft zerbrechen, den Wind zerreißen, das Wasser zerschmettern ... zerbrochen, zerrissen, zerschmettert wurde er.

Neel
Mukherjee:

„In anderen Herzen“
Übersetzt von Giovanni und Ditte Bandini.
Kunstmann Verlag.
640 Seiten.
26,80 Euro.

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