Attersee rief zum Klassentreffen: „Selten gehörte Musik“
Wenn Maler Musik machen, geht es um Flächen, um Atmosphären, um Verdichtung – nicht um Virtuosität oder um die Frage, ob ein Stück einen Anfang und ein Ende hat.Wenn Christian Ludwig Attersee Weggefährten zum Musizieren einlädt, geht es außerdem um das Ereignis an sich: Den Akteuren wie auch dem Publikum der Matinee im Wiener Belvedere 21 war am Sonntag wohl bewusst, dass man kaum noch einmal so viele Protagonisten der heimischen Avantgarde nach 1960 versammelt in Aktion erleben würde. Und so war auch viel Kunstprominenz im Publikum vertreten - darunter Max Hollein, Direktor des Metropolitan Museums New York; seine Schwester Lilli, Direktorin der Vienna Design Week; Szene-Gastronom Michel Würthle und Szene-Friseur Erich Joham und einige mehr.
Die einstigen „Wiener Gruppe“-Mitglieder Gerhard Rühm und Oswald Wiener, dessen Frau Ingrid, der Aktionist Hermann Nitsch und der deutsche Malerfürst Markus Lüpertz wagten sich also an eine Neuauflage des Happenings „Selten gehörte Musik“, das erstmals 1974 stattfand. Die kollektive Improvisation, die in Wien von drei Sprechgesangsdarbietungen Ingrid Wieners strukturiert wurde, bezog ihren Reiz daraus, dass alle Mitwirkenden – um in der Sprache der Malerei zu bleiben – Spuren übereinander schichteten und in ihrer Handschrift erkennbar blieben: Lüpertz kanalisierte – an einem von Architekt Karl Schwanzer designten Flügel – seinen inneren Debussy, Attersee setzte verspielte Lichter im Harpsichord-Sound, Wiener fiepte mit dem Synthesizer, Rühm stellte Akkordblöcke auf, Nitsch schüttete an der Orgel – von vier Assistentenhänden unterstützt – große Flächen aus.
Was einen Spätgeborenen im musikalischen All-Over ein wenig verwunderte, war, dass der Jazz, die Improvisationsform des 20. Jahrhunderts schlechthin, keine Spuren in dieser Ecke der Avantgarde hinterlassen hat: Rhythmus und Bluestöne sind in der „selten gehörten Musik“ nicht vorhanden, es ist eine sehr weiße, europäische Art, spontan zu sein. Ein historisches Ereignis war das Konzert dennoch – schließlich historisiert sich keine Sparte selbst so gern wie die Kunst.
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