Astrid Lindgren: "Heute hat der Krieg begonnen"

„Am glücklichsten bin ich, wenn ich schreibe“: Astrid Lindgren (1907–2002)
Tagebücher 1939 bis 1945 und eine neue Biografie zeigen ihre Lebensanschauung.

Da war sie schon alt und weltberühmt, ihre Augen waren sehr müde und ihre Tochter Karin las ihr Dankesbriefe vor, so in der Art: Dieses oder jenes Buch sei entscheidend für das Leben des jeweiligen Lesers gewesen (übrigens sind 75.000 derartiger Briefe aufbewahrt worden, bis heute) ...

Astrid Lindgren unterbrach Karin: "Findest du das alles nicht irgendwie merkwürdig?"

Karin erinnert sich, 13 Jahre nach Mutters Tod, gut an den Moment. Auch an ihre Antwort: "Jaaa." Unglaublich sei das Leben gewesen ...

Privilegiert

Erst jetzt hat die Tochter erlaubt, dass Lindgrens Kriegstagebücher herausgebracht werden.

Die Jahre 1939 bis 1945, dokumentiert für sich selbst in 17 in Leder gebundenen Büchern ... von der ersten Eintragung, sie war 32 damals, die lautet:

"Oh! Heute hat der Krieg begonnen. Niemand wollte es glauben."

Bis zu Silvester 1945: "Ich möchte wissen, was die Zukunft über die Atombombe sagen wird, ob sie eine ganz neue Epoche im Dasein der Menschen markiert oder nicht. Der Frieden bietet keine große Geborgenheit, die Atombombe wirft ihren Schatten auf ihn."

Es sind die Aufzeichnungen einer Privilegierten, einer Hausfrau und zweifachen (oftmals allein erziehenden) Mutter in Stockholm, die vom Krieg nur dann etwas am eigenen Leib spürt, wenn die Butter rationiert wird.

Die sich aber sehr interessiert, auch für die großzügigen Kredite ihrer neutralen Heimat an Deutschland.

Astrid Lindgren sammelt Zeitungsausschnitte, informiert ihre Kinder, nimmt einen abendlichen Job in der Abteilung für Briefzensur des schwedischen Nachrichtendienstes an.

"Meine Drecksarbeit", nennt sie das Spionieren. Allerdings erfährt sie auf diese Art mehr als aus dem Radio, zum Beispiel liest sie über die Deportation der Juden.

Diktator im Zirkus

In der Wut auf Hitler und Stalin, auf Nationalsozialisten und Kommunisten lag die Geburtsstunde einer politisch denkenden Frau, die zur Kämpferin für die Rechte von Kindern werden sollte.

Und es war die Geburtsstunde einer Schriftstellerin.

Im März 1945 notierte Astrid Lindgren: "Ich habe Frühjahrsputz gemacht, manchmal bin ich froh und manchmal traurig. Am glücklichsten bin ich, wenn ich schreibe."

Astrid Lindgren: "Heute hat der Krieg begonnen"
buch
In den Tagebüchern konnte sich die Schriftstellerin entwickeln. Erzähltes gestalten. Ihre eigene Angst in Ironie verwandeln. Leidenschaft in der Sprache finden ... währenddessen sie ihrer Tochter von einem wilden Mädchen zu erzählen begann, einer Seemannstochter aus der Villa Kunterbunt.

Den Namen Pippi Langstrumpf erfand die Siebenjährige.

In der Ur-Pippi-Version taucht ein diktatorischer Zirkusdirektor auf, der sehr auf seine Frisur bedacht ist. "Du garschdiges Ding!" schreit er Pippi an. "Rrraus, bevor ein Unglück bassiert!"

In der ebenfalls neuen Biografie von Jens Andersen sind die Kriegstagebücher bereits ausgewertet. Am besten, man liest "nebeneinander".

Astrid Lindgren: "Heute hat der Krieg begonnen"
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Dem Dänen ging es vor allem darum, die Lebensanschauung zu würdigen: Trotz Enttäuschungen und Leid und Frust gibt es eine Zeit des Friedens, eine Zeit des Genusses, eine Zeit der Liebe und des Spielens.

Dem Buch ist ein Zitat Astrid Lindgrens vorangestellt – es passt großartig ins Jetzt:

"Was der Sinn des Lebens nicht ist, das weiß ich. Geld und anderes Zeug zusammenzukratzen, ein Promileben zu führen ... und solch eine Angst vor Einsamkeit und Stille zu haben, dass man nie in Ruhe und Frieden über die Frage nachdenken kann: Was mache ich mit meiner kurzen Zeit auf Erden?"

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