Art Basel: Das große Klassentreffen der Kunstbranche
"So weit verstreut“, steht in großen Lettern an einer Wand in der Basler Messehalle. Der Schriftzug des Konzeptkünstlers Lawrence Weiner – in Wien für seine mittlerweile entfernte Gestaltung des Flakturms Esterházypark bekannt – ist in mehreren Sprachen affichiert: Italienisch, Spanisch, Englisch, Französisch, Deutsch. Man darf sich denken, dass das Publikum der „Art Basel“ in all diese Sprachgebiete verstreut war. Aber jetzt ist es wieder zusammengekommen.
„Great to see you!“
Die VIP-Preview in Basel am Dienstag – für nicht geladenes Publikum öffnet die Messe erst am Freitag – hatte etwas von einem Klassentreffen: Viele Galeristinnen und Galeristen, Sammler, Museumsleute, Kuratoren hatten einander mitunter seit Jahren nicht gesehen.
Auch wenn viele Protagonisten zuletzt betont hatten, dass die Pandemie die längst überfällige Digitalisierung der im Kern konservativen Kunstbranche vorangebracht habe, genoss doch jeder das, was Daphne Palmer von der aus San Francisco angereisten Fraenkel Gallery im Gespräch „Face time with friends“ nennt: Keine Videotelefonie, sondern Zeit von Angesicht zu Angesicht.
Der Kunstmarkt lebt immer noch von Beziehungen, und das gemeinsame Schauen (auf die Kunst und aufeinander) weckt eine Dynamik, die das Geschäft anfacht.
Schon in der ersten Runde meldeten einige Galerien erfolgreiche Transaktionen: Thaddaeus Ropac etwa hatte ein formidables Bild der österreichischen Malerin Martha Jungwirth prominent neben internationalen Stars wie Georg Baselitz und Robert Rauschenberg präsentiert und um 245.000 Euro verkauft. Dass einige Sammler jetzt erst neugierig geworden sind („Martha wer?“), darf angenommen werden.
Dennoch ist es unübersehbar, dass nicht alle „Friends“ da sind. Insbesondere aus Asien und Amerika ist der Zulauf erwartungsgemäß geringer – eine Ende August von den US-Behörden erlassene Reisewarnung für die Schweiz half nicht unbedingt.
„Nicht nur Superreiche“
Messechef Marc Spiegler bekräftigt auf Nachfrage aber, dass eine geringere Quantität an VIP-Sammlern keine geringere Qualität bedinge: Die Art Basel – 1970 von lokalen Galeristen gegründet – sei im Kern immer eine europäische Messe gewesen, sagt er. „Und in Europa ist das Kunstsammeln über ein weiteres soziales Spektrum verteilt“.
Die Messe sei nicht nur für Superreiche da, auch Ärzte, Notare, Anwälte würden kaufen. Außerdem wirke sich die Live-Dynamik auch auf das Online-Geschäft aus. Tatsächlich ist der QR-Code mit Link zum „Online Viewing Room“ ein Fixpunkt an den Messeständen.
Museumsware
Im Spektrum der Art Basel findet sich dabei im High-End-Segment Ware, von der man gar nicht wusste, dass sie überhaupt noch zu haben ist: Der New Yorker Patriarch Helly Nahmad ist da etwa an seinem mit Picasso-Gemälden gefüllten Stand anzutreffen, der Händler Jeffrey Deitch zeigt ganz frühe Werke Keith Harings.
Der Londoner Händler Richard Nagy hat ein exquisites Schiele-Aquarell von 1914, das eine masturbierende Frau zeigt, um fünf Millionen US-Dollar im Angebot.
David Zwirner zeigt Stillleben des Italieners Giorgio Morandi neben einem umwerfenden Bild der Porträtistin Alice Neel von 1960: Malerei in Museumsqualität.
Im ersten Stock sind traditionell aktuellere Positionen zu sehen – in der Entdeckerschiene „Statements“ fiel etwa der Afroamerikaner Cameron Clayborn mit seinen organisch wirkenden Skulpturen auf, für die er den Baloise-Preis erhielt. Die von der kosovarischen Galerie „Lambda Lambda Lambda“ vertretene Hana Miletić wurde für ihre filigranen Stoff-Arbeiten ausgezeichnet.
Weltruhm aus Österreich
Österreich spielt auf allen Ebenen mit: Galerien wie Krinzinger (deren Stand zum 50-Jahr-Jubiläum auf ihre Vorreiterrolle u. a. bei der Etablierung von Perfomance-Königin Marina Abramović verweist), Nächst St. Stephan/Rosemarie Schwarzwälder (mit Textilkunst von Sheila Hicks und Malerei von Katharina Grosse) oder Martin Janda (mit Malerin Svenja Deininger und dem Konzeptkünstler Roman Ondák) gehören zu den profiliertesten Ausstellern.
Umgekehrt geben internationale Galerien Künstlern und Künstlerinnen aus Österreich prominent Platz – auffallend etwa bei Oliver Larić, dessen 3D-gedruckte Skulpturen an mehreren Orten auftauchen.
Der Grazer Philipp Timischl (Galerie Layr) ist mit einem schrägen Video-Malerei-Hybrid direkt am Eingang der für Großformate gedachten „Unlimited“-Sektion platziert. Für diese schien allerdings heuer niemand aufwändige Rauminstallationen bauen zu wollen (sieht man von Urs Fischers Haus aus, jawohl, Brot ab) – sie wirkt in Summe etwas flach.
Sicherheitsnetz
Dass Unsicherheit im Vorfeld der Messe ein ständiger Faktor war, streitet auch niemand ab – ebenso wenig die Einsicht, dass der geschäftliche Erfolg nicht auf alle Sphären gleich verteilt sein wird.
Erstmals richtete die Muttergesellschaft MCH daher heuer einen „Solidaritätsfonds“ ein: Der Topf von 1,5 Millionen Schweizer Franken (ca. 1,38 Millionen €) würde allen 272 teilnehmenden Galerien 10% Prozent ihrer Standmieten erstatten, erklärt Spiegler. Wenn jene, die gut verkaufen, darauf verzichten, bleibt mehr für jene, die negativ aussteigen. Denn vor allem für Galerien aus Übersee kann eine Messeteilnahme samt Transporten etc. schon einmal mit 500.000 US-Dollar zu Buche schlagen.
Wenn die Atmosphäre der wiedererstandenen „Art Basel“ nicht trügt, hat die Pandemie tatsächlich den Sinn dafür gestärkt, dass große und kleine Player einander brauchen. Das Fonds-Modell ist nun ein Praxistest für die Klassengemeinschaft: Im nächsten Jahrgang wird sie wieder ohne solche Hilfen auskommen müssen.
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