Angeln im Amazonas der Kunst

Damien Hirst lässt in Basel Zwillingspaare (im Bild: Leonard und Raphael Kadid) vor Punkt-Gemälden sitzen und zeichnen.
Die 45. Art Basel setzt auf immaterielle Werte, um das Geschäft anzukurbeln.

Im Obergeschoß der Basler Messehalle stehen fünf Aquarien zum Verkauf. Der US-Künstler David Brooks hat in jedem einen Fisch platziert: Die Tiere, gefangen im Amazonasgebiet, wurden von der Wissenschaft noch nicht klassifiziert, sind also selten und mysteriös. 60.000 Euro kostet das Werk, und sollte ein Fisch sterben, erhält man Ersatz: "Es werden immer wieder neue entdeckt", sagt der Galerist.

Vielleicht ist ja die ganze Messehalle, in der noch bis Sonntag die 45. Ausgabe der "Art Basel" stattfindet, ein einziges solches Aquarium. Ein riesiges Sammelbecken für das, was alljährlich aus dem Amazonasgebiet der Kunst gefischt wird, was extrem rar, mysteriös, neu und wertvoll ist. Wobei am Ende handfeste Geschäfte stehen und Millionenbeträge umgesetzt werden: Nirgends sonst lässt sich der Zusammenprall der immateriellen Werte der Kunst mit der Welt des Geldes in solcher Dichte und Drastik beobachten wie auf dieser Messe.

Mehr Platz für Großes

In der diesjährigen Auflage ist die Konfrontation durch einige programmatische Neuerungen noch schärfer ausgefallen als sonst: Die weitläufige Nebenhalle, in der bislang auch junge Positionen ("Art Statements") gezeigt wurden, steht nun zur Gänze für große Installationen ("Art Unlimited") zur Verfügung, für Kunst also, die eher für Museumshallen gedacht ist. Die Messe gibt sich hier als eine Art Mini-Documenta – der enorme Teppich aus Stahlplatten, den der Minimal-Künstler Carl Andre 1982 bei der Kunstschau in Kassel ausbreitete, ist hier auch um fünf Millionen US-Dollar zu erstehen.

In der Halle nebenan zelebriert die ebenfalls neu hinzugekommene Performance-Schau "14 Rooms" die Renaissance des Immateriellen: Zwei Wuschelköpfe mit Namen Leonard und Raphael (!) zeichnen hier auf Geheiß des Kunstmarkt-Stars Damien Hirst vor Publikum in kleine Notizblöcke. In den anderen Räumen, die sich hinter verspiegelten Türen verbergen, tappen Besucher in absolute Dunkelheit (die Idee stammt von Yoko Ono und heißt "Touch Piece"). Oder sie betrachten eine Performerin aus der Entourage von Marina Abramović, die nackt auf einem Fahrradsattel balanciert (die Meisterin selbst ist nicht anwesend, sie absolviert gerade eine Dauer-Sitz-Performance in der Londoner Serpentine Gallery).

Geld bedeutet Teilhabe

Für wohlbetuchte Kunstfreunde muss es eine richtige Erleichterung sein, nach so viel demonstrativer Ungreifbarkeit die Bestätigung zu bekommen, dass es möglich ist, mit Geld an einer so ätherischen Kunstwelt teilzuhaben. Natürlich gibt es auf der Art Basel nach wie vor Händler, die etablierte Stars aus Malerei und Skulptur im Programm haben: Thaddaeus Ropac (Salzburg/Paris) hat ein Porträtbild von Francis Bacon hervorgezaubert, das er um 4,6 Millionen US-Dollar anbietet. Ein frühes Werk von Georg Baselitz (1969) kommt bei der Galerie Thomas (München) auf 645.000 €. Ein kleines Ölbild von Egon Schiele (1916) bei Richard Nagy (London) auf 850.000 €.

Doch Nagy nennt sich im Gespräch selbst einen "Dinosaurier": Unverkennbar ist, dass neue Galerien und neue Sammler nachrücken. Die Kunst der 1960er und ’70er – mit Minimalisten wie Carl Andre, Donald Judd und Sol LeWitt als Schlüsselfiguren – ist für sie längst die neue "Klassische Moderne".

Manchen Galerien dienen etablierte Größen der jüngeren Kunstgeschichte als Anker für ein individuelles, mutiges Programm. So verkaufte Georg Kargl (Wien) am ersten Tag ein großformatiges Foto von Cindy Sherman (1984), das er auf Augenhöhe mit Galeriekünstlern wie Herbert Hinteregger präsentierte. Paula Cooper (New York) balancierte eine Skulptur aus vier Kupferplatten von Carl Andre (400.000 US-$) mit einer Collage unbedruckter Zeitungsseiten des Norwegers Matias Faldbakken (35.000 US-$).

Spektakuläre Großkünstler wie Anish Kapoor oder Jeff Koons sind aus diesem Konzert nicht verschwunden – ihre Werke versprühen aber fast schon Retro-Charme. Zeitgenössisches Repräsentationsbedürfnis muss sich, so scheint es für den Moment, nicht mehr in üppigem Material äußern. Doch wir sind hier im Amazonas: Es wird bestimmt wieder Neues entdeckt.

Im Rahmen der Art Basel, die am Dienstag ihre Tore vorerst nur für geladene Gäste öffnet (von Donnerstag bis Sonntag dann öffentlich zugänglich), haben die Kuratoren Klaus Biesenbach (MoMA) und Hans Ulrich Obrist (Serpentine Gallery) 14 internationale Künstler eingeladen, ebensoviele Räume zu bespielen. Im Zentrum der Live-Performances soll der Mensch stehen und der Zusammenhang zwischen, Raum, Zeit und Körperlichkeit erforscht werden.

Neben Weltpremieren von Künstlern wie Ed Atkins werden auch historische Werke von Marina Abramović und Yoko Ono gezeigt. Letztere kam mit ihrem "Touch Piece" (1963) nach Basel. Wer ihren dunklen Raum betritt, muss damit rechnen, von Fremden berührt zu werden. Die Besucher sollen damit Berührungsängste ablegen, gesellschaftliche Verhaltensweisen werden hinterfragt.

Erstmals unter dem Titel "11 Rooms" beim Manchester International Festival 2011 findet die Veranstaltungs-Reihe nun bereits zum vierten Mal statt und ist mit 14 Positionen auch die größte der bislang stattgefundenen Shows.

Die Live-Kunst-Ausstellung "14 Rooms" ist von 14. bis 22. Juni im Rahmen der Art Basel in der Messehalle 3 zu sehen.

Wien – jetzt oder nie“: Dieser Slogan ist in der elitären Sammler-Lounge der Art Basel weithin sichtbar: Gleich neben dem Infostand eines Zollfreilagers buhlt hier der Wien-Tourismus mit einem kleinen Café um die Reichen und Kunstsinnigen.

Gestaltet wurde der Stand – das zweite Wien-Gastspiel auf der Messe und die einzige derartige Präsentation einer Stadt – von der Künstlerin Jenni Tischer, die im Vorjahr den „Baloise-Kunstpreis“ gewann. Die Versicherung, die den Preis stiftet, kauft alljährlich auf der Messe ein Werk für das Wiener mumok an. Heuer ist es der Schwede John Skoog, der die Jury mit einem poetischen Film über einen Bauernhof, der im Kalten Krieg zur Festung umgebaut wurde, beeindruckte.

Österreichische Galerien spielen seit Langem in Basel mit und können auch heuer mit starken, kompromissfreien Messeständen überzeugen. Die Galerie nächst St. Stephan zeigt etwa ein Großformat von Katharina Grosse (124.000€) neben Arbeiten von Herbert Brandl und Ernst Caramelle. Ursula Krinzinger mischt ebenso Internationales (Atelier van Lieshout, Jonathan Meese) mit Wiener Kunst, u. a. einem Bild von Otto Muehl (155.000 €). Martin Jandas Programm sticht durch noble Schlichtheit hervor, u.a. mit Werken von Svenja Deininger und Mladen Stilinović. Georg Kargl bringt das Profil seiner Galerie mit Andreas Fogarasi, Nedko Solakov und Herbert Hinteregger präzise auf den Punkt.

Auch bei anderen Galerien fallen österreichische Künstler auf: Friedrich Petzel (New York) zeigt etwa ein Werk von Maria Lassnig („Assistance“, 2008, 350.000 €). Markus Schinwalds Installation, ein Publikumsliebling der „Unlimited“-Sektion, ist bei Yvon Lambert (Paris) um 150.000 € zu erwerben.

Österreichische Moderne ist durch Richard Nagy (London) und die Galerie St. Etienne (New York) bestens vertreten. Letztere bietet ein faszinierendes Schiele-Aquarell-Porträt der Elisabeth Lederer um 2,8 Mio. US-$ an.

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