Ob wir bald Haustiere von superintelligenten Computern sind? Dank künstlicher Intelligenz fröhlich unseres arbeitsfreien Lebens frönen? Oder in einer digitalen Diktatur aufwachen?
Diese Fragen lassen sich auch mit einem im Labor gezüchteten Tigerpenis nicht beantworten. Aber man kann es zumindest versuchen.
Die Ars Electronica in Linz tut dies seit 40 Jahren. Jetzt nicht immer mithilfe eines Tigerpenis (Was das soll? Das kommt noch). Aber mit Künstlern, die mal lustige, mal besinnliche, mal hilflos wirkende Fragen an die digitalen Maschinen richten.
Und so ein wenig Licht auf das werfen, was uns in der noch digitaleren Zukunft bevorsteht.
Heuer, beim am Donnerstag gestarteten Jubiläumsfestival in Linz, erkunden sie etwa, wie man künstliche Intelligenz fühlbar oder hörbar machen kann.
Oder was passiert, wenn man einen Algorithmus darauf programmiert, Vogelgezwitscher zuzuhören.
Oder ob Tiger dadurch vor dem Aussterben geschützt werden können, dass man ihre Penisse im Labor züchtet. Denn die sind aufgrund alten Aberglaubens als Potenzmittel begehrt. Für einen künstlichen Penis aber muss man keinen Tiger killen.
Digitale Bruchstellen
Die Künstler klopfen mit allerlei weiteren Bastelprojekten, Konzeptideen, Programmen und Roboter-Choreografien spielerisch die digitale Welt auf Bruchstellen, Neuwertigkeit, auch Gefahrenorte ab. Das, was dabei herauskommt, summt und brummt, leuchtet und klappert, ist verspielt und oft sehr gescheit und manchmal auch gar nicht.
Man darf drücken und mitmachen und Kunst durch ein Tablet anschauen, woraufhin diese ein digitales Eigenleben entwickelt: Plötzlich wachsen dem gezeichneten Kopf Haare.
Man wandert auf Entdeckungsreisen tief in den Bunker unter dem aufgelassenen Postzentrum und hoch in den Dachstuhl einer Kirche. Ein Roboter und ein Hund geraten aneinander, Kinder können Maschinen beim Lernen helfen, Radioapparate spielen absurde Suchergebnisse.
Das alles lässt sich in der Post City, im Ars Electronica Center und an anderen Orten wie ein Erlebnispark einer Beziehungskrise durchwandern.
Denn jene Begeisterung an allem Digitalen, in deren Geist das Festival – eine visionäre Tat! – gegründet worden war, hat sich in einem durchaus schmerzhaften Prozess überlebt. Die Beziehung zum Digitalen ist, dank Social-Media-Hass und Online-Wahlbeeinflussung, dank Überwachungskapitalismus und Überforderung, längst kompliziert geworden.
Will man das noch? Und wie kommt man da raus? Und wenn wir uns trennen, können wir Freunde bleiben?
Die Ars Electronica selbst weist mit dem heurigen Festivalmotto darauf hin: Man ist in der „Midlife Crisis der digitalen Revolution“ angelangt.
Die erste Verliebtheit – jö, ein iPhone! – ist dem Alltag – ah, schon wieder ein neues iPhone – und zuletzt der Enttäuschung gewichen. Was, das iPhone hört meine Gespräche mit?
Und am Horizont zieht sich schon der Scheidungskrieg zusammen: Aus Unterhaltungselektronik und Online-Spaß hat sich allerlei Schreckensvisionäres zusammengebraut. In China kann man einem digitalabsolutistischen Überwachungsstaat beim Entstehen zuschauen.
In den USA ist die Beziehung zum Silicon Valley zunehmend angesäuert.
Und in Europa bereitet man sich seit Jahren darauf vor, den technologischen Rückstand aufzuholen. Digitalisierung, das Wort wird hier noch immer groß im Mund, und meint zumeist, dass man überlegt, die Warenbestellung auf Computer umzurüsten. Dabei schlägt sich die Midlife Crisis des Digitalen längst auch hier auf die Gesellschaft durch. Das ist beziehungsschädlich.
Wir sind Krise
Der echten Midlife-Krise wird für ein letztes Hurra gerne Ehe geopfert, der digitalen halt das demokratische Zusammenleben: In diesem komischen Zwischenzustand, der in der digitalen Revolution entstanden ist, werden Hass und Extremmeinungen verstärkt. Schleichend vergiftet sich die Demokratie. Und das ausgerechnet mit dem Mittel, an dem sie genesen sollte, an der absoluten Freiheit der Meinungsäußerung.
Die Ars Electronica macht aber nicht nur den Giftschrank, sondern dankenswerterweise auch den Zauberkasten auf. Viele Projekte zeigen, was dank Computer und Wissenschaft möglich wäre. Sie fächern den Traum einer besseren Zukunft auf, der am Anfang der digitalen Revolution stand.
Und noch bis Montag kann man mitträumen, und sich in gar nicht wenigen Momenten denken: Vielleicht hält die Freundschaft mit dem Digitalen ja doch.
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