Massiver Störfall in der Revolution

In Schieflage: Der Pendel-Chor ist einer der Preisträger beim heurigen "Prix Ars Electronica".
Der künstlerische Leiter Stocker über Online-Überwachung und Erbgut-Datenspeicher.

Überwachung der Kommunikation unbescholtener Bürger, Polizeibesuch nach harmlosen Suchmaschinenabfragen, Zerstörung von Festplatten in einer britischen Zeitung: Rund um den US-Spionageskandal passiert derzeit vielerlei, was noch vor Kurzem lediglich wie der Stoff eines (nicht unbedingt sehr glaubwürdigen) Science-Fiction-Romans erschienen wäre.

„Die erste Reaktion vieler Menschen ist: Die digitale Revolution hat ihre Unschuld verloren“, sagt der künstlerische Leiter des Linzer Festivals Ars Electronica, Gerfried Stocker, im KURIER-Gespräch. „Wir erleben derzeit einen massiven Störfall.“

Massiver Störfall in der Revolution
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Dort, bei der Ars Electronica, wird diese digitale Revolution seit Jahren begleitet, auch kritisch in Hinblick auf Online-Überwachung und weitere Gefahren der Digitalisierung. „Die Überwachungsaffäre wurde ganz massiv antizipiert“, sagt Stocker. Der akute „Störfall“ in dieser Revolution sei aber umso gewichtiger, als das Digitale mittlerweile das Leben der meisten Menschen durchdrungen hat.

Man arbeitet digital, kommuniziert digital, konsumiert Kunst digital. Offline gehen ist also keine Alternative mehr. Und „der Großteil von uns will damit weiterleben und weiterarbeiten“.

Also gehe es darum, über Alternativen nachzudenken, darüber, wie man seine Daten, seine Kommunikation schützen könnte. Auch wenn das „vielleicht naiv“ ist: „Wir werden dem nicht entkommen“, sagt Stocker in Hinblick auf die US-Überwachungsstrukturen. Es sei aber wichtig, Bewusstsein zu schaffen, wie Daten missbraucht werden können. Denn der „Durchmarsch des Digitalisierens ist nicht abgeschlossen. Das Gleiche, das jetzt mit unseren Kommunikationsdaten passiert, wird mit anderen Daten genauso kommen.“

Digitales Leben

Etwa im Biologischen, bei den Erbgut-Daten des Menschen. So müsse man sich die Frage stellen: „Was heißt es, wenn die DNA auch zu einem Datenspeicher wird, wenn unsere Lebensdaten verarbeitbar werden?“ Ein Beispiel dafür ist beim heurigen Festival (5. bis 9. September in Linz) zu sehen: Forscher Nick Goldman präsentiert dort seinen DNA-Datenspeicher.

Er hat in künstlich hergestelltem Erbgut Musik, Videos, Texte – etwa Shakespeare-Sonette – abgespeichert. In einem Becher mit Erbmaterial könne man 100 Millionen Stunden an Video dauerhaft speichern, hieß es dazu Anfang des Jahres.

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Auch Gehirnstrukturen sollen über Computer nachgebildet werden, schildert Stocker. Das Thema des heurigen Festivals, „Total Recall“, dreht sich um perfektes und defektes Erinnern.

Gibt es für solche Ideen, die an den menschlichen Grundstrukturen rütteln, nicht im Moment ein wachsendes Maß an Ablehnung? Die derzeitige Empörung und die Sensibilität, sagt Stocker, kann den Entwicklungen nur dienlich sein.

Denn Stocker ist optimistisch: Die Gesellschaften werden die richtigen Antworten auf die entscheidenden Fragen der digitalen Revolution finden. „Der Druck, da auf einen vernünftigen Weg zu kommen, ist nicht aufhaltbar“, sagt Stocker. Aber „es wird ein harter und schwieriger Weg“.

HR Giger, Schweizer Surrealist von Weltrang und für seine Mitarbeit am Kultfilm „Alien“ mit einem Oscar ausgezeichnet, ist Featured Artist des diesjährigen Linzer Medienkunstfestivals Ars Electronic (5. bis 9. September). Das Linzer Lentos Museum widmet Giger von 5. bis 29. September eine Schau rund um seine „Biomechanik“.

Das Festival selbst dreht sich um die Entwicklung von Erinnern, von Speichern – in vielerlei Hinsicht: So gehe es unter anderem um das menschliche Gedächtnis, um perfektes und defektes Erinnern, schildert der künstlerische Leiter Gerfried Stocker. So beschäftige man sich mit Demenzerkrankungen. Weiters wird die Frage nach dem bisher fehlenden Speicher für digitale Daten gestellt, der länger hält als ein paar Jahrzehnte. „Total Recall“ nennt sich daher das Festival. Und nein, sagt Stocker, Arnold Schwarzenegger, der in dem gleichnamigen Film die Hauptrolle gespielt hat, kommt nicht nach Linz.

Die „Goldenen Nicas“, die Preise der Ars Electronica, werden wieder bei einer Gala vergeben. Dazu gibt es die alljährliche Ausstellung im OK Centrum – und weitere Ausstellungen, unter anderem ist eine Zitronenpresse zu sehen, die wie ein DJ-Pult Musik macht.

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