Ars Electronica: Atemnot am Weg zum Datengipfel

Ars Electronica: Atemnot am Weg zum Datengipfel
In Linz wird wieder die Zukunft verhandelt. Heuer sucht das Festival in den Datenbergen ein neues Weltbild. Vergeblich. Dennoch: Nirgends ist es derzeit inspirierender.

Erwarteter Tod: 2038", steht, so lapidar wie erschreckend, am Schirm des "Memopol II".

Das computerisierte Unding sieht aus wie etwas, das sich ein Bösewicht in einem James-Bond-Film in seinem unterirdischen Bunker aufgebaut hat, um damit die Vernichtung der Welt zu planen. Doch es macht etwas ganz anderes: Legt man einen Ausweis drauf, saugt es alle Arten von persönlichen Daten aus dem Internet.

Und zeigt dem Besucher dann, was das Netz so über ihn weiß.

Unheimlich

Ars Electronica: Atemnot am Weg zum Datengipfel

Dazu gehört das letzte Facebook-Update genauso wie polizeiliche Fahndungen und die statistische Wahrscheinlichkeit, wann man sterben wird. Das ist nah am Unheimlichen.

Aber keine Sorge: Der "Memopol II" – und damit das Netz – weiß längst nicht alles. Beim Gesundheitszustand gibt er ebenso auf wie beim Einkommen. Im Röntgenbild des Online-Daseins fehlen wesentliche Teile des realen Lebens.

Und damit geht es der Gerätschaft (eine Installation des Esten Timo Toots) wie uns allen: Es fehlt der Überblick über jene Unmengen an Daten, die es von uns gibt.

Was schade ist. Denn diese Datenberge sind, glaubt man den Rednern des heurigen Festival-Symposiums, so etwas wie der neue Regenwald: Wie sich im Urwald hinter jedem Baum eine Arznei gegen bisher unheilbare Krankheiten verstecken könnte, so verbergen sich im Datendschungel Zusammenhänge, die große Probleme lösen könnten. Wie etwa Krankheiten miteinander zusammenhängen oder wie man sich effizienter und damit umweltfreundlicher fortbewegen könnte.

So machte sich die Ars Electronica heuer auf, den Datenberg zu erklimmen und von dessen Gipfel aus den Überblick zu gewinnen. Ein neues Weltbild muss her, ein "Big Picture" des Datenlebens. Und niemand wäre für dessen Erstellung besser geeignet als jenes besondere Menschengrüppchen aus dem Niemandsland zwischen Internet, Technologie, Kunst, Wissenschaft und freier Inspiration, das sich Jahr für Jahr in Linz trifft.

Denn in genau diesem Niemandsland wird die Zukunft gestaltet, weit mehr als von Politikern, Konzernchefs oder den üblichen Experten für eh alles. Hier wird die Welt so gedacht, wie sie demnächst sein wird, und nicht so, wie sie seit Jahrzehnten nicht mehr ist.

Vogelkot

Und sie wird wohl vor allem eines: schräg. In Linz gibt es derzeit kaum etwas, das es nicht gibt. Bakterien machen Radio. Unwillkürliche, sehr intime Muskelbewegungen von Balletttänzerinnen senden Nachrichten an Außerirdische. Zebrafinken werden zum lebenden Drucker: Sie formen mit Ausscheidungen Buchstaben. Und das sprechende Klavier ist auch wieder da.

Doch dieser Parcours des Staunens ist keineswegs nur eine Spielwiese von ewigen Kindern mit zu viel Tagesfreizeit. Was eben noch als Spielerei erscheint, wird rasch zum Hilfsmittel für ganz reale Revolutionen. Soziale Netzwerke halfen den Opfern nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, das Erlebte zu verarbeiten. Stickerinnen in der Dritten Welt können über eingearbeitete Codes mit Käufern ihrer Produkte in Kontakt treten und so auf ihre Arbeitsbedingungen hinweisen.

Sparen

Ars Electronica: Atemnot am Weg zum Datengipfel

Die Ars Electronica rückt die unerschöpflichen Möglichkeiten, neue Technologien für einen Wandel zum Besseren zu benutzen, ins Bewusstsein. Und zeigt, wie wesentlich die Rolle von Künstlern und Kreativen in der Zukunftsgestaltung ist.

Heuer merkt man dem Festival finanzielle Einschränkungen (eine Million Euro Subvention gab es 2012 weniger) und den organisatorischen Aufwand der erstmals selbst produzierten Klangwolke an. Auf dem Weg zum Datengipfel herrscht daher streckenweise Atemnot: Die Schau im Ars-Center etwa blieb nahezu unverändert zum Vorjahr.

Dennoch ist es derzeit nirgends inspirierender: Eine Runde Weltrettung als Brettspiel, schnell mal mit dem Roboter kuscheln oder Atemübungen in einem weißen Stofftunnel absolvieren – alles ist möglich. Und selbst den Vögeln beim ... Drucken zuzusehen macht eigenartigerweise Spaß.

Ausstellungen: Spidermanhaut und Filmklassiker

Ars Electronica: Atemnot am Weg zum Datengipfel

Spiderman hat Konkurrenz bekommen. Mit voller Wucht schlägt eine Pistolenkugel in ein Stück menschlicher Haut.

Das Überraschende: Die Haut hält stand. Denn die Niederländerin Jalila Essaidi hat den Hautfetzen mit Spinnenfäden durchsetzt. Und so zu einem widerstandsfähigen Mischgewebe gemacht, das nun in einem Video in der Cyber­Arts-Ausstellung im OK Offenen Kulturhaus in Linz präsentiert wird.

Gleich nebenan bekommt nicht Spiderman, sondern eher Hermann Nitsch Konkurrenz: "The Body Is A Big Place" heißt das großformatige Biokunstwerk, in dem Schweineherzen, Wasserschläuche und allerlei technische Apparaturen den Graubereich zwischen Leben und Tod ausloten.

Das sind bei Weitem nicht die einzigen Abenteuerlichkeiten in den Ausstellungen der Ars Electronica. Die Japanerin Seiko Mikami hat in den Keller des Lentos-Museums eine Überwachungsinstallation gestellt: Insektenartige Kameras, an sechs Roboterarmen befestigt, fixieren und verfolgen den Besucher, speichern seine Bilder. Und – wenn nichts los ist – beginnen sie in diesen Bildern zu träumen.

Wem das alles zu aufregend ist, der kann im OK durch "Das Fenster zum Hof" aus dem gleichnamigen Hitchcock-Krimis schauen – und sich dabei selbst fühlen wie im Film. Denn in den Fenstern der Hinterhofansicht spielen sich – per Computer hineinmontiert – nach und nach die entscheidenden Szenen des Klassikers ab.

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