Arnulf Rainer ist tot: Er war der zentrale Künstler Österreichs nach 1945
Man nannte ihn den „Über-Maler“, aber in gewisser Weise war er auch ein Über-Vater für die Kunst in Österreich seit 1945: In Arnulf Rainer kulminierte fast alles, was für die Entwicklung der Kunst der Nachkriegszeit in Österreich maßgeblich war. Nun hat Rainer die Welt verlassen: Wie seine Galerie Thaddaeus Ropac in Abstimmung mit der Familie des Künstlers am Sonntag mitteilte, ist Rainer bereits am 18. Dezember „friedlich verstorben“. Er war 96 Jahre alt.
Der Künstler, der am 8. Dezember 1929 in Baden bei Wien geboren wurde, war federführend daran beteiligt, den Rückstand der heimischen Kunstwelt an die Entwicklungen der Moderne aufzuholen. Er kreierte dabei einen unverkennbaren und doch nie gleichbleibenden Stil, in dem vieles ineinanderfloss, was die Aufbruchszeit in der zweiten Jahrhunderthälfte definierte: Die Annäherung ans Unsagbare. Der wilde Auflehnungsgestus gegen Normen und Vorstellungen des Idealen. Die Entdeckung des Unbewussten, Rauschhaften, Exstatischen. Die Suche nach dem Schönen im Hässlichen und umgekehrt.
Aber Rainers Kunst war nie bilderstürmerisch, sondern von einer tiefen, respektvollen Auseinandersetzung mit dem Kosmos der Kunst geprägt.
Im Dialog
Anders als viele andere maßgebliche Kräfte der österreichischen Nachkriegsavantgarde blieb Rainer bis zuletzt ein Maler. Auch wenn manche Episoden seines Schaffens – darunter eine provokante Publikumsbeschimpfung im Jahr 1951, eine Malaktion im Psilocybin-Rausch und eine Selbst-Bemalung 1968 - Performance-Charakter besaßen, war Rainer nie ein Aktionist, sein Schaffen stets auf das Endergebnis des Bildes konzentriert. Als Maler sah sich der Künstler im steten Austausch mit einem Universum an Bildern, aus der Kunstgeschichte ebenso wie aus der populären Kultur: „Die Überarbeitung ist für mich keine Aggression, sondern ein Wunsch nach Kommunikation“, sagte er dem KURIER 2009.
Das „Übermalen“, das zum Markenzeichen von Rainers Kunst werden sollte, war dabei keineswegs das einzige Ausdrucksmittel in einem unglaublich umfangreichen, über rund 70 Jahre hinweg entstandenen Werk. Den Anfang machten realistische Landschaftsaquarelle in Kärnten, wohin Rainers Familie 1945 vor russischen Besatzungstruppen geflohen war. In Kärnten traf er Maria Lassnig, mit der er den Surrealismus entdeckte und dichte, wimmelnde Zeichnungen schuf. 1950 traten beide gemeinsam mit Ernst Fuchs, Arik Brauer und Anton Lehmden in die so genannte „Hundsgruppe“ ein.
TRRR!
An einen Hund sollte auch das Kürzel „TRRR“ erinnern, das Rainer bald als Pseudonym führte und unter dem er „automatische“ Zeichnungen und „Zentralisationen“ mit geschlossenen Augen schuf. Es folgte eine Phase streng geometrischer Studien, bevor Rainer schrittweise zu seinen charakteristischen Übermalungen fand.
Eine Heimat fand Rainer damit in der Galerie nächst St. Stephan und bei deren Betreiber, dem Domprediger Msgr. Otto Mauer. Die Galerie blieb seine Basis, als der Maler immer neue Wege fand, sich Bilder einzuverleiben: Totenmasken, Messerschmidt-Köpfe und nicht zuletzt das eigene, grimassierende Gesicht wurden zu Aufsehen erregenden Werkserien.
Und der sich selbst gern als wilder Hund darstellende und von der konservativen Öffentlichkeit immer wieder angefeindete Maler etablierte sich Schritt für Schritt als kanonischer Bestandteil der Kunst-Elite. 1978 vertrat Rainer Österreich auf der Biennale Venedig und erhielt den Großen österreichischen Staatspreis, 1981 übernahm er eine Professur an der Akademie der bildenden Künste in Wien, 1982 nahm er an der documenta 7 in Kassel teil. Als ihm das Pariser Centre Pompidou 1984 eine Retrospektive widmete und das New Yorker Guggenheim Museum 1989 mit einer ebensolchen folgte, stand Rainer auch international am Zenit seiner Anerkennung.
Einen Rückschlag musste Rainer 1994 verkraften, als ein unbekannter Täter in sein Atelier eindrang und 27 Bilder beschädigte. Der Künstler selbst hatte einen ehemaligen Schüler im Verdacht, der psychisch labil war, „ins rechte Eck abgedriftet“ sei und an seiner Wertschätzung durch das Guggenheim-Museum Anstoß genommen habe. Offiziell aufgeklärt wurde der Fall nie.
Wenngleich die Kunstentwicklung die gestische Malerei hinter sich ließ, blieb Rainer bis ins hohe Alter mit großer Kontinuität aktiv, schuf immer wieder in fast manischen Phasen viel auf einmal: Schleierbilder, Maskenbilder, Zirkusbilder waren bewusste Versuche, in seinem Spätwerk „schön“ zu malen und im Gespräch zu bleiben – weniger mit der Kunstszene als mit der Welt der Bilder selbst. Mit einer dieser Werkserien - Blättern mit erotischen Motiven, die um 2013 entstanden sein sollen und vom Künstler und seiner Frau als „Fälschungen“ deklariert wurden - schaffte es der Künstler aber auch abseits der Kunst-Fachpresse in die Schlagzeilen.
Kollegen und Dialogpartner
Lieber aber kommunizierte Rainer mit Künstlerkollegen auf Leinwand und auf Papier, insbesondere die Kollaboration mit Dieter Roth fand viel Beachtung. Das Arnulf-Rainer-Museum, das 2009 in Baden bei Wien eröffnete, spannte seine Kunst ebenso immer wieder mit Dialogpartnern aus aller Welt zusammen – manche, wie Georg Baselitz, kannte und schätzte Rainer selbst, andere – wie der Briten Damien Hirst oder den US-Minimalisten Donald Judd – wurden ihm bzw. seinen Werken von Kuratoren vorgestellt. Die so genannte „Art Brut“ von gesellschaftlichen Randfiguren, wie Rainer sie etwa - als einer der ersten - im „Haus der Künstler“ in Maria Gugging vorfand, interessierte den Künstler über Jahrzehnte hinweg; die aktuelle Schau im Rainer-Museum ist diesen Werken gewidmet.
Immer wieder befasste sich Rainer auch mit den Letzten Dingen - etwa mit Totenmasken und mit sakralen Motiven. Er setzte sich tiefgehend mit Konzepten wie der Theologie des „Johannes vom Kreuz“ auseinander, erhielt zweimal eine theologische Ehrendoktorwürde und widmete sich immer wieder dem Kreuzmotiv, das er aber nicht auf seine religiöse Symbolik beschränkt wissen wollte.
Eine für 2026 im Stephansdom geplante Ausstellung, von der Rainer sich zuletzt distanzierte, brachte den „Über-Maler“ noch einmal ins Gerede - dass die Schau nun zu einer Art Gedenkausstellung wird, scheint naheliegend. Man sollte es aber nicht allein dabei bewenden lassen: Bei aller Prominenz in Österreich gebührt Arnulf Rainer nämlich auch in der internationalen Kunstwelt ein Platz unter den ganz Großen seiner Zeit.
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