Arno Geiger: Blick aus dem Teufelsloch
In der Drachenwand am Mondsee ist ein Loch, das hat, der Sage nach, unabsichtlich der Teufel gerissen.
Der Schädelfelsen hat ein Auge, das in eine Zeit schaut, 1944, noch ist der Krieg nicht zu Ende – und auf einen Ort hinunterschaut: Etwas Frieden herrscht hier, etwas Liebe sogar, einmal glückliche, einmal verhängnisvolle ...
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"Es geht uns gut" ist nicht "Alles über Sally" ist nicht "Der alte König in seinem Exil" ist nicht "Selbstporträt mit Flusspferd" ist nicht "Unter der Drachenwand". Arno Geiger ist immer anders. Manchmal sehr gut, manchmal noch besser. Jetzt der bisher beste. Der Krieg hat ihn gefunden. Er musste sich dem Thema stellen.
Krieg, schreibt der in Wien lebende Vorarlberger, ist wie ein leerer Raum, in dem das schöne Leben verschwindet. Und dann?
Dann löst sich, zur Bestätigung der Sinnlosigkeit!, auch noch dieser Raum ganz auf, und dann ist überhaupt nichts mehr da.
Dagegen wehrt sich der Soldat Veit Kolbe. Nach vier Jahren Krieg, davon fast drei in Russland, kehrt er nach Wien heim. Genesungsurlaub. Hitlers Irrsinn wird vom Irrsinn der Familie abgelöst: Der Vater meint, Soldaten sollen nicht jammern, man stirbt nicht so schnell.
Veit – taub im Gesicht, eine Krücke wegen einer offenen Wunde, die "suppt" – quartiert sich lieber beim vernünftigeren Onkel am Mondsee ein.
Es gab sie alle
Wo er zittert, Anfälle hat, Panik, Schweißbäche auf dem Rücken. Langsam zweifelt er: Was soll das heißen – seinen Mann stellen? Wieso soll sich denn ER der Geschichte würdig erweisen?
Wieso erweist sich nicht die Geschichte ihm würdig?
Veit Kolbe gab es wirklich. 23 war er. Und die junge Frau aus Darmstadt, Margot, die gab es auch. Sie war mit ihrem Baby in der Nachbarwohnung untergebracht, während ihr Mann als Soldat kämpfte. Veit freundete sich mit ihr an. Sehr.
Margot lebte noch, als Arno Geiger sein Buch beendete. Aber das soll der Autor selbst sagen, am Ende des Romans ... der von Veit erzählt wird (sozusagen).
Ihn lässt Geiger ins Tagebuch schreiben, wie er aufwachte, lieben wollte, wie er nicht verhindert hat, dass der Gärtner vom Mondsee Hitler als "gekotzte Milch" bezeichnete. Und weg war er.
Wie ein Profi bemüht sich Veit zu schreiben. Das muss anfangs verkrampft sein. (Kalte Winter sind "Ausströme der Epoche"?)
Aber er kommt in Fahrt und wird ein Arno Geiger gewissermaßen, der großartige Beobachtungen zu Papier bringen kann – etwa:
Eine Mutter, deren unglücklich verliebtes Mädchen verschwunden ist, hat "dieses ungläubige Staunen, ganz vorne, als ginge es ein Stück voraus".
Man will dieses Buch nicht vorzeitig weglegen – auch wenn’s drei in der Früh ist und man Angst vor dem Kommenden hat: Die "Firma für Blut und Boden" braucht noch Krieger.
Vom Töten erzählen, indem man vom Leben redet, vom Überleben, vom Wunsch, Schönes zu erleben: Das macht den Wahn spürbar. So geht Literatur.
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Auf Seite 206 wird jemand beschrieben, er "gehörte zu den Männern, die versuchen, sich durch schwarze Kleidung den Eindruck dichterer Substanz zu geben."
Erwischt.
Arno Geiger:
„Unter der Drachenwand“
Hanser Verlag.
480 Seiten.
26,80 Euro.
KURIER-Wertung: *****
Buchpräsentation ist am Mittwoch, 10.1., im Akademietheater. Es moderiert Katja Gasser.
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