Annie Proulx: "Ein Haus in der Wildnis"

Annie Proulx: "Ein Haus in der Wildnis"
Die Memoiren der eigensinnigen, jähzornigen, überaus herzlichen amerikanischen Schrifstellerin.

Wer will im Wilden Westen (Wyoming) fünf Quadratkilometer Grund mit Fluss und Klippe und einem Haus mit japanischem Badezuber? Um 3,7 Millionen Dollar wird dieses „Gedicht“ angeboten. Es war der Lebenstraum der heute 76-jährigen amerikanischen Schriftstellerin. Wir bauen ein Haus und gestalten es aus: Es glaubt einem ja niemand, wie wohltuend das sein kann, darüber ausführlich zu lesen. Es baut nämlich Annie Proulx. National Book Award. Pulitzerpreis. PEN/Faulkner Award ... Das Drama "Brokeback Mountain" stammt von ihr.

Mit 70 hat sich die Amerikanerin – Tochter eines Frankokanadiers – in Wyoming am Rande der Sierra Madre ein Grundstück gegönnt. Fünf Quadratkilometer auf 2000 m Höhe! Kein Strom, kein Telefon, kein brauchbares Brunnenwasser –, aber Adlerpärchen und Präriehunde und Maultierhirsche und Bäume, mit deren Harz sich einst die Cree-Indianer ihre schmerzenden, hohlen Zähne ausgestopft haben. Mit Felsklippe, die zum North Platte River abfällt.

Hier schuf sie ihr neues Zuhause mit 56 schweren Bücherregalen – ein Gedicht aus Landschaft, Architektur und Handwerkskunst; und deshalb werden die mit verrostetem Blech beschlagenen Türen fast automatisch zu Literatur. Der hölzerne japanische Badezuber, in dessen heißem Wasser jedem Dilettanten die schönsten Haikus einfallen, sowieso.

Am Fußboden aus geglättetem Beton muss noch gearbeitet werden. Der hat eine seltsame Farbe bekommen. Wie rohe Leber.

Bird Cloud

Drei Mal war sie verheiratet, vier Kinder hat sie in die Welt gesetzt ... "Ein Haus in der Wildnis“ sind die Memoiren der eigensinnigen, jähzornigen, überaus herzlichen 76-Jährigen. Es ist ihr erstes Buch, in dem sie nichts erfindet. Zum ersten Mal zieht sie nicht eine einzige Geschichte durch, sondern vermischt. Da kann durchaus auch das Auge eines Heilbutts aus der Erinnerung auftauchen. In den USA hat dies Missfallen gefunden

Zusammengehalten wird alles durch den Traum, der den Namen „Bird Cloud“ bekommen hat. Die Schriftstellerin hat ihn sich erfüllt. (Vorher ging sie freilich wegen der Baufirmen mehrmals die Holzwände hoch.) Und heute, ein paar Jahre später? Kann man ihr um 3,7 Millionen Dollar Grund und Haus abkaufen. Sie wohnt nämlich kaum noch dort: Die langen Winter wurden unterschätzt. Die Schneeberge. Die tosende Luft. Man kommt nicht zum Haus, und ist man schon dort, kann man nie ins zwei Autostunden entfernte Laramie einkaufen fahren.

Am besten ist Annie Proulx, wenn sie in ihrem Reich spazieren geht. Wenn sie sich über wilden Buchweizen freut, wenn sie 4000 Jahre alte Steinmesser ausgräbt – wenn sie Weißkopfadler beobachtet, die gegen den Orkan kämpfen. Das Weibchen stürzt ab, tot. Das Männchen hat Stunden später eine neue Partnerin. Solche Vögel ...

KURIER-Wertung: **** von *****

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