Montalbano wird nicht erschossen
Andrea Camilleri schreibt und schreibt, denn wenn er nicht schreibt, dann ist ihm langweilig.
Hält man ihm (vorsichtig) vor, dass er vielleicht unter Umständen zu viel schreibt, wird er laut: "Was ist das Maß für dieses zu viel? Der einzige Mensch, der befähigt ist zu entscheiden, ob ich zu viel oder zu wenig schreibe, bin ich."
Man stelle sich vor, dass Honoré de Balzac (15 Stunden am Tag, bis zu 50 Schalen Kaffee) kritisiert wurde: "Du schreibst zu viel, lieber Balzac ..."
Camilleri: "Das wäre ja noch schöner gewesen!"
Wer seinen aktuellen Roman "Das Spiel des Poeten" liest, wird anerkennen: Der Kerl (Pardon) soll schreiben, er wird immer besser.
Heuer, am 6. September, wird Andrea Camilleri 90 Jahre alt.
In dem sizilianischen Hafenort Porto Empedocle, in dem er aufwuchs (und der in vielen Romanen den Namen Vigàta bekommt), war ein Lehrer, der im Unterricht schlief – angeblich aus Protest, weil er so wenig verdiente.
Karriere mit 70
Die Kinder protestierten, sie wollten etwas lernen. Ja, damit war der Lehrer einverstanden, er verlangte aber jede Woche eine Schachtel Zigaretten. Aus pädagogischen Gründen: Die Kinder passten besser auf und wurden klug.
Camilleri wurde Theater- und TV-Regisseur – leicht bitter, weil jeder zweite Italiener nicht lesen kann (wie er behauptet). Von den ersten Romanen mit ersten Mordopfern wurden immerhin 5000 Exemplare verkauft. Mehr geht halt nicht, so dachte der Autor. Eh nicht übel.
70 war er, als er den wetterfühligen Commissario Montalbano erfand. Einen lustvollen Faulenzer und Genießer, der das Pech hat, dank Camilleris Fleiß zwei Fälle pro Jahr klären zu müssen.
Damit schafft er seither allein in Italien eine Million Bücher.
Und gibt Andrea Camilleri die Möglichkeit, sein Land zu beschreiben, dessen Bewohner sich durch Berlusconi verändert haben: Verseucht habe er sie – jeder Italiener versuche nun, noch gerissener zu sein als die anderen.
Andrea Camilleri wollte seinen Polizisten längst schon sterben lassen, weil sich Montalbano in der Hightech-Welt der Verbrechensbekämpfung nicht mehr zurecht findet. Zum Dank für die eigene späte Karriere lässt er ihn leben. Den letzten Teil der Serie hat er seit mehr als zehn Jahren fertig. Er liegt beim Verleger in einer Schublade und darf posthum erscheinen.
Montalbano wird nicht erschossen. Auch wird er nicht in Rente gehen. Sondern wird nicht mehr in die Schreibmaschine geklopft.
Wie Camilleri in einem Interview mit dem Turiner Journalisten Lorenzo Rosso verraten hat, ist sein Commissario seit längerer Zeit wütend. Denn Leute fragen ihn, ob er der Typ aus dem Fernsehen sei oder der richtige ...
(Im TV liefen bisher 26 Folgen.)
Montalbano mag nicht ständig für sein Alter Ego gehalten werden; und um das abzuschaffen – um sich selbst abzuschaffen, wendet er sich an seinen Autor ...
"Das Spiel des Poeten" ist der 16. ins Deutsche übertragene Roman mit Commissario Montalbano. Im September, zu Andrea Camilleris 90. Geburtstag, bringt "sein" Kölner Verlag Bastei Lübbe noch Band 17, "Das Lächeln der Signorina", und Band 18, "Der ehrliche Dieb". heraus.
Aber im Italienischen sind bereits zusätzliche sechs Krimis erschienen; und wenn man bedenkt, dass Andrea Camilleri angeblich mehrere fertige Manuskripte bei seinen Enkelkindern versteckt hat ...
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