André Heller im Interview: „Ohne Lachen ist kein Leben“
Unter den gegebenen großen Herausforderungen wäre, sagt André Heller, „selbstverständlich“ eine Koalition mit den Grünen die „verantwortungsvollste Lösung“. Und er ruft seinen Song „Erhebet Euch, Geliebte“ in Erinnerung, der 1982 für die Friedensbewegung entstanden war. In Zeiten des Klimawandels könnte man das Lied jeden Tag singen: „Dieser Stern ist uns doch nur geliehen. (...) Wir brauchen eine Tat (...) Noch ist es nicht zu spät.“
Doch dieses Mal will André Heller weder über österreichische Innenpolitik noch über die notwendige Rettung der Welt reden. Sondern über sein Album „Spätes Leuchten“, das eben erschienen ist.
„Ich hätte geschworen,dass ich nie mehr in die Studios zurückkehren werde.“ Dies schrieb André Heller zur Veröffentlichung von „Ruf und Echo“ (2003) – zwei Jahrzehnte nach dem Ende seiner Karriere als Liedermacher. Nun, mit 72, wurde er wieder rückfällig. Einziger Schwachpunkt von „Spätes Leuchten“ (Made Jour Label) ist vielleicht „Woas ned so?“. Heller rührt tatsächlich zu Tränen („Dem Milners Trern“, „Es gibt“), er streut seiner Albina Bauer Rosen („Du mein Lachen, das mich rettet, wenn das Lächerliche droht“), und seine Lebensfreude in „Papirossi“ steckt an.
KURIER: Im Booklet berichtet Robert Rotifer, der Produzent, über den „langen Weg“ zu Ihrem neuen Album. Die Geschichte begann bereits 2015. Und Sie waren schwer zu motivieren. Warum denn?
André Heller: Die ersten Melodieeinfälle hatte ich schon davor, vielleicht 2013. Bei Sessions entstanden Demos mit Klavierbegleitung. Es gab aber keinen Funken einer Verpflichtung, dass daraus etwas Ernsthaftes werden muss. Und dann, eben 2015, war Tessy Schulz, die Managerin meines Sohnes Ferdinand (aka Leftboy, Anm.), eine sehr gute Fallenstellerin. Sie sagte zu Robert Rotifer und den anderen Musikern: „Lockt ihn nicht von zu Hause weg! Wenn er in ein unpersönliches Studio kommt, kriegt er diesen Hotel-Koller – und fragt sich, was er hier verloren hat.“
Ihr Salon wurde daher zum Studio.
Und so sind etliche Aufnahmen entstanden. Manche waren zum Wegschmeißen, andere haben gestimmt, darunter „Maybe it’s true“.
Rotifer berichtet, Sie hätten eine Besprechung abgebrochen und wären mit dem Taxi weggefahren.
Wenn Musiker mit den Augen fragen, was sie jetzt machen sollen: Das war mir zu belastend. Ich musste das Gespräch auf das Unhöflichste beenden, damit ich mich nicht selber in dieses Projekt hineinlockte. Ich habe mich dann auch nicht mehr gemeldet. Und ich stellte erleichtert fest: Ah, es versickert!
Sie betonen immer, dass es keine Zeit zu verlieren gibt. Dann hätten Sie doch nicht abbrechen dürfen?
Das stimmt: Ich denke ganz genau darüber nach, was mir in der Zeit, die mir verbleibt, erlaubt ist. Vom Alter meiner Mutter, die mit fast 104 Jahren gestorben ist, auf meine eigene Zukunft zu schließen: So deppert bin ich nicht. Es gab aber Projekte, die vordringlicher waren. Ich musste den Garten „Anima“ in Marokko möglichst schnell auf den höchsten Grad an Schönheit bringen. Ich habe 40 Folgen von „Menschenkinder“ gedreht, ich habe den Roman „Das Buch vom Süden“ fertig geschrieben. Und der Abschied meiner Mutter war zu ahnen. Ich wollte, dass wir ohne Unversöhnlichkeiten voneinander scheiden. Dafür nahm ich mir viel Zeit.
Aber Tessy Schulz war beharrlich.
Sie hat mich immer wieder gemahnt: „Du wirst es bereuen!“ Eines Tages sagte ich zu mir: „Mach dich nicht schwierig vor dir selber! Und versuch nicht, dich zu entmutigen!“ Rotifer kam nach Marrakesch, wir sprachen viel. Er verstand, dass ich nicht Abziehbildfabrikant sein darf, sondern immer wieder zu Expeditionen in Neuland aufbrechen muss. Erst da bekam ich richtig Lust, mit ihm zu arbeiten. Er holte viele junge Musikerinnen und Musiker, darunter die Gruppe Alma und Ina Regen. Und führte mich in nichts, das mir nicht entsprach.
Er bewahrte Sie auch vor zu viel Theatralik?
Vielleicht. Damit ich mir nicht auf den Leim gehen kann, lade ich mir zu allen Projekten eine Art Rechnungshof ein. Ich inszeniere demnächst in der Staatsoper unter den Linden in Berlin den „Rosenkavalier“, Premiere ist am 9. Februar 2020. Ich habe zwar eine klare Vorstellung davon, was ich dem „Rosenkavalier“ schulde, aber ich bewege mich auf etwas wackeligem Terrain. Und da benötige ich kluge Freunde, die mir als Korrektiv dienen. Es ist nicht so, dass ich leichtfertig meine Meinung ändere. Aber ich möchte die andere zumindest gehört haben.
Sie debütieren als Opernregisseur?
Ich bin jetzt 72 – und es gibt noch immer so viele Herausforderungen, denen ich mich noch nie gestellt habe. Ich weiß nicht, ob sie mich in den Abgrund reißen, oder ob ich zu einem Flugkunststück abhebe. Aber ich will es riskieren.
Sahen Sie auch Ihre Platte als Risiko-Projekt?
Ja. Denn ich habe in den letzten Jahrzehnten kaum gesungen. Ein Privatkonzert 2007, ein weiteres, kurzes mit Wienerliedern 2017. Die Stimme ist aber ein Instrument, das man regelmäßig benützen muss. Sie hat das Wagnis gottlob bestanden.
Bereits mit dem ersten Lied ziehen Sie eine Art Bilanz: „Alles in allem vom Glück verfolgt ...“ Haben Sie sich mit Ihnen ausgesöhnt?
Viele Leute haben immer geglaubt, dass ich ein ungeheuer selbstverliebter …
Gockel?
Von mir aus: Gockel bin. Aber ich war immer ein dezidierter Kritiker meiner selbst. Daher konnten mich auch andere selten überraschen. Ich kannte viele Vorwürfe schon von mir selbst und ärger formuliert. Aber mein Bestreben ist es, nicht in einem Feind einzuschlafen – und auch nicht in einem aufzuwachen. Die Voraussetzung dafür ist, dass man einen liebevolleren, barmherzigeren Umgang mit sich selbst hat. Die Juden nennen das „Rachmones“. Ja, alles in allem vom Glück verfolgt! Es wäre eine unglaubliche Frechheit gegenüber meinem privilegierten, zwischentonreichen Leben, wenn ich raunzte. Ich sehe doch, was es an Bitterkeit, Not und Ungerechtigkeit gibt.
Ein ungemein fröhliches, Klezmer-artiges Lied ist „Papirossi“. Im Refrain heißt es: „Ohne Lachen ist kein Leben, ohne Leben ist man tot.“ Daher: „Jede Stunde soll man feiern, dankbar und voll Leidenschaft.“
Ich hatte diesen rührenden Wunsch, dass auf Hochzeiten und anderen Festen alle ein Lied von mir mitsingen und dazu tanzen.
„Papirossi“ fällt irgendwie heraus, ist aber trotzdem zentral. Denn Ihre Platte pendelt, abgesehen von den Liebesliedern, thematisch immer zwischen Leben und Tod.
Gibt es Wichtigeres?
Das traurigste Lied stammt aus dem 19. Jahrhundert. „Oh, wie viele Jahre sind vergangen, seit ich Müller bin an diesem Ort. (...) Ich habe gehört, man will mich verjagen.“ Sie singen es auf Jiddisch.
Als ich „Dem Milners Trern“ das erste Mal gehört habe, hat es mich richtig aus die Bock g’schmissen. Ich wusste, ich werde es einmal aufnehmen. Es gibt nur wenige Lieder, in denen ich meiner jüdischen Familiengeschichte Raum gebe. Darunter das „Emigrantenlied“. (Er singt.) „Misstraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück. (...) Drum mach’s dir nicht behaglich, glaub nicht an einen Ort. Denn wo du heut’ dein Dach dir deckst, jagt man dich morgen fort!“ – „Dem Milners Trern“ beleuchtet noch etwas ganz Anderes: das Altwerden. Mit 50 hätte ich es nicht singen können. Und ich wollte das Lied nicht mit der letzten Strophe beenden, sondern so, dass man als Zuhörer fühlt, wie das langsame Vergehen zum rasenden wird.
Über dieses Rasende kurz vor dem Tod singen Sie im galoppierenden „Mutter sagt“. Das Lied erinnert irgendwie an den „Schimmelreiter“.
Am vorletzten Tag ihres Lebens hatte meine Mutter stundenlang einen Zustand der äußersten Ekstase. Und es sind nur surreale, visionäre und wohl schon einer anderen Dimension entstammende Sätze aus ihr herausgesprudelt: „Weh oh weh, mir greiser Tochter einer lasterhaften Frau. Seht den Urgrund meiner Schmerzen: in mir schlägt sein Rad der Pfau.“ Dann wurde sie stumm und ist friedlich gestorben.
In einem anderen Lied heißt es: „Auch der Tod ist ein Projekt, das uns Freundlichkeiten bietet.“ Blicken Sie ihm gelassen entgegen?
Schon. Warum sollte ich mich fürchten? Ich stehe doch nur an der Tür zum Nachhauskommen.
Ein Leben nach dem Tod?
Ich hab’ nicht den geringsten Zweifel daran, dass wir von woher kommen – und wohin gehen. Was mich so sicher macht: Ich hatte immer, immer, immer – mit 200 Rufzeichen! – Heimweh. Aber nie nach dem Hier, sondern nach dem, wo ich herkomme. Kein anderes Bild hat mich so überzeugt wie die Szene, in der E.T. sehnsuchtsvoll „Home“ sagt. Ich halte mich nicht für ein Alien, aber kenne dieses Gefühl: Ich gehöre nicht hierher, lasst mich bitte nach Hause!
Ist Selbstmord eine Alternative?
Ich war als junger Mensch sehr oft auf dem Weg zu einem spielerischen Selbstmord. So, wie sich der Dichter Konrad Bayer umgebracht hat – aus einer Laune heraus. Diese Todessehnsucht hing damit zusammen, dass mich damals überhaupt keine Spiritualität stützte. Ich dachte, dass ich niemandem und nichts Verantwortung schulde; wenn man sich umbringt, dann ist es einfach vorbei. Heute bin ich natürlich dankbar, dass mich immer etwas davor zurückgerissen hat. Erst als 1977 wirklich jemand mir sehr Naher Suizid beging, habe ich erkannt: Das ist keine Option für mich.
Wie haben Sie das verarbeitet?
Ich bin aus Wien geflohen. Diese Freundin hat sich aus dem letzten Stock vom Hochhaus in der Herrengasse gestürzt. Es war eine von diesen, an Beschämung nicht zu überbietenden, Situationen in meinem Leben: Da bringt sich eine wunderbare Frau um – und ich behaupte im gleichen Moment, sie über alles geliebt zu haben. Wenn ich ihr das in dieser Intensität gesagt hätte, wäre das Schreckliche vielleicht gar nicht geschehen. Als eine Folge habe ich mich absurd bestraft. Ich verschenkte meine Kunstsammlung, flog nach Los Angeles zu Peter Wolf, stieg in den elendigsten Motels ab. Und dann nahmen wir eine kathartische Platte auf. Der Titel war „Basta“.
In „Maybe It’s True“ singen Sie darüber: „Ich war auf der Flucht vor den Geistern aus Wien.“
Ja. Jene Zeit war angefüllt mit Drogen. Einmal hatte ich die Vision, dass ich am Sunset Boulevard dem Teufel begegne, und dass er mir seine Seele verkaufen will.
Es ist nicht das einzige Lied mit Sprechgesang.
Weil ich Geschichten erzählen will – in „Wiener Judenkinder“ zum Beispiel über den Tag, als Otis Redding starb. Dass er mir den Satz „Try a Little Tenderness“ eingebrannt hat. Und dass ich seine Platten gehört habe, um irgendwie durch die Nächte zu kommen.
Und so führt eins zum anderen: „In der Nacht, nur das Singen hilft, nur die Melodien“ heißt es im Lied „In der Dunkelheit“. Es geht über in ein friedliches Schlaflied auf Arabisch.
In Marokko finde ich Auswege, die sich in Wien nicht öffnen. Ich atme in „Amina“ Glücksluft.
Daher: „Das Glück und ich, wir sind uns gut. (...) Ich bin in meinem Element – in Marrakesch.“
So ein Lied hätte ich über Wien nie schreiben können. Wien ist für mich eine große Herausforderung, eine interessante Spielkameradin und strenge Lehrerin, aber in meinem Element bin ich da nie.
In Marokko haben Sie tatsächlich Heimat gefunden?
Das an Heimat, was für einen Menschen wie mich in dieser Welt möglich ist. Was für mich zu Heimat gehört, das ist nicht ein Land, das sind zum Beispiel Klavierstücke von Schubert, das ist die Literatur von Joseph Roth und Marcel Proust, das sind bestimmte Bilder von Picasso, das ist „Das weiße Band“ von Michael Haneke. All das, in dem ich mich verstanden fühle.
Eine solche Aufzählung gibt es auch in der ungemein berührenden Cover-Version „Es gibt“.
Claudio Baglioni hat „Avrai“ zur Geburt seines Sohnes geschrieben – darüber, was alles auf ihn zukommen könnte. Als ich das Lied das erste Mal gehört hab, musste ich weinen. Ich wollte den Spirit erhalten, habe aber den Text abgeändert. Ich wollte meine Sicht auf die Welt der Polarität besingen. Dieses Lied ist durchaus ein Glaubensbekenntnis: „Es gibt, es gibt, es gibt – dein brennendes Verlangen nach Würde und Geborgenheit, nach Zärtlichkeit und Frieden.“
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