Foto bedient den Voyeurismus. Foto ist Emotion. Foto berührt, irritiert oder karikiert. Schon beim Eingang liefert die in Wien geborene Emigrantin Lisette Model, die in der New Yorker Kunstszene eine neue Heimat fand, einen direkten Blick auf die Menschen: Emigranten einerseits, das Gesicht der Oberschicht fast wie eine Karikatur andererseits.
Da zeigt sich gleich daneben die Virtuosität der Diane Arbus, die ein Thema kritisch oder verharmlosend und äußerst zärtlich behandeln kann. Und gegenüber die Schonungslosigkeit und Detailgenauigkeit des Mode- und Porträtfotografen Richard Avedon bei Gesichtsstudien etwa von Marilyn Monroe, Buster Keaton und Dwight D. Eisenhower.
Paparazzi wollen Gesichter, der Vanity Fair-Fotograf Larry Fink will Gesten. Seine Aufnahmen von ausgelassenen Partys sind Verhaltensstudien und zum Teil Karikaturen der gern angehimmelten Upper Class. Während es für ihn „nur Leute“ sind.
Seine Methode, „nah rangehen und blitzen“, seine sarkastische und direkte Art im scharfen Kontrast von hell und dunkel zu fotografieren, verbindet ihn mit Kollegen wie Weegee.
Ein Protagonist im Raum mit dem Titel „Soziale Landschaften“ ist Walker Evans: Der Dokumentarist der Depressionszeit der 1930er-Jahre zeichnete mit nüchtern registrierenden Aufnahmen ein einzigartig authentisches Bild Amerikas. Er hatte ein besonderes Sensorium für das Alltägliche und Subtile, mit Aufmerksamkeit für das allzu Flüchtige und Respekt vor der nur scheinbar profanen Gegenwart.
Lewis Baltz und Robert Adams kreierten in den 1970er-Jahren mit bis dahin nicht darstellungswürdigen Sujets, wie Industriegebäuden, Vorstadtsiedlungen und Brachlandschaften, eine neue Form der Landschaftsfotografie, die sich radikal von den überhöhten Naturaufnahmen eines Ansel Adams unterscheiden.
Die Neue Welt ist fasziniert von Metropolen: Ihre Dynamik fängt u. a. William Klein ein, der einen grimmigen Blick auf die New Yorker vom Konsum geprägte Gesellschaft wirft, außerdem Garry Winogrand und Mitch Epstein in Street-Fotos: Es sind flüchtige Augenblicke in Schwarz-Weiß, aus der Hüfte geschossen, auf Straßen, Flughäfen, Rodeoplätzen, in Raumfahrtzentren und Wohnwagenparks.
Und die oft heimlichen Schnappschüsse von Menschen, die sich nicht dessen bewusst waren, dass sie fotografiert wurden, muten düster, skurril, ironisch oder einfach nur magisch an.
Rau, ungeschönt und mitunter grobkörnig kommt das USA-Porträt von Robert Frank daher, der mit seinem einflussreichen Fotoband „The Americans“ 1954 die Widersprüche einer ganzen Epoche offen legte.
Er setzte mit einem scharfen Blick die Widersprüche und Ungerechtigkeiten dieses Landes ins Bild, die Klassenunterschiede und geografischen Verwerfungen, den Konsumismus und die Einsamkeit.
Er sah mit dem Objektiv das, was sonst keiner sehen wollte und entwarf ein Antibild zur Selbstwahrnehmung des Landes. Mit Fotos, die ein Erdbeben ausgelöst haben.
Auch Gregory Crewdson und Larry Sultan dekonstruieren die herkömmlich mit Sicherheit und Idylle assoziierten Vorstädte in hochgradig inszenierten Tableaus, die menschliche Einsamkeit oder das gescheiterte Streben nach Wohlstand zum Thema haben.
Wo einem der American Dream plötzlich als Alptraum erscheint. Der Spuk des Augenblicks Motiv ist und verborgene emotionale Abgründe zu erahnen sind. Oder – wie in einem Film von David Lynch – das Unheimliche dem der Wirklichkeit zugrunde liegenden Unbewussten offenbart wird. Ungemein raffiniert und doppelbödig sind die Kompositionen von William Eggleston, der das Farbfoto aus der Schmuddelecke in die Kunst holte: Keiner brachte ins Farbbild so viel Resignation.
Oder Stephen Shore, der als Fotograf des Banalen Furore gemacht hat. Schließlich schweben die Bilder von Philip-Lorca diCorcia zwischen alltäglichen Momenten und detailreich inszenierten Arrangements – und bekommen durch die dramatische Lichtgebung malerische Qualität.
Die Farbe und die Zeit im Bild ist überhaupt eine andere Dimension durch Alec Soth, Nan Goldin, Cindy Sherman oder Tina Barney, bei der die Grenze zwischen Dokumentation und Inszenierung fließend ist.
Viele Bilder – und alle wunderbar offen für eigene Sichtweisen, eigene Interpretationen. Man trifft auf Humor und Pathos, Armut und Wohlstand, unfreiwillige Komik und die Tragik des Lebens, kunstvolle Inszenierungen und ikonografische Bildwelten – und vor allem auf ein weites Spektrum von Emotionen. Eine Schau, die auch im Zeitalter der Bilderflut beeindruckt und eindringlich nachwirkt.
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