„Wenn man schon nicht physisch reisen kann, sollte man das wenigstens im Geist tun, und der Imagination ihren wilden Lauf lassen.“
Das haben Gus Unger-Hamilton und seine Freunde von der Indie-Band Alt-J mit ihrem neuen Album „The Dream“ ausführlich getan. Aber der Titel, erzählt der Keyboarder im Interview mit dem KURIER, bezieht sich nicht nur darauf. „Ich habe gehört, dass die Leute während der Pandemie viel lebhafter geträumt haben. Weil das normale Leben ohne Höhepunkte war, hat sich das Erleben in die Traumwelt verlagert.“
Auch wenn der einzigartige Sound von Alt-J mit seiner Fusion von Elektronik, Rock und Folk-Elementen immer schon etwas Verträumtes hatte, geht das Trio mit dem hervorragenden „The Dream“ neue Wege, setzt Klangexperimente gezielter und effektiver ein, ohne dabei die Verbindung zur bisherigen Karriere abzuschneiden.
Mit dem packenden, nur mit dem Gesang von Frontmann Joe Newman und einer schlichten Gitarre- und Klavier- Instrumentierung interpretierten „Get Better“ haben Alt-J auf „The Dream“ sogar einen der besten Songs ihrer Karriere. Und der ist direkt von der Pandemie beeinflusst.
„Es geht darum, dass man eine geliebte Person nach einer schweren Krankheit verliert“, sagt Unger-Hamilton. „Wir hatten einen Großteil der Arbeit schon vor dem Lockdown gemacht, aber dadurch flossen später dann die Gedanken über die Leute in systemrelevanten Berufen und andere Dinge mit ein, an die wir im Jahr 2020 so häufig gedacht haben.“
Auch anderswo auf dem Album ist der Tod präsent. „The Actor“ arbeitet das Ableben von John Belushi auf, und in „Philadelphia“ geht es um einen mysteriösen Mord auf den Straßen der Stadt. Auch bei Letzterem leisten sich Alt-J klangliche Extravaganzen, lassen einen Part von einer Opernsängerin singen, einen anderen von einem Cembalo spielen.
„Wir alle mögen klassische Musik“, erzählt der 32-Jährige. „Ich war vorgestern das erste Mal wieder bei einer Veranstaltung – bei einer Gilbert-and-Sullivan-Oper. Okay, das ist komödiantische Oper und nicht das, was man bei euch in Wien darunter versteht. Aber Joe ist ein noch größerer Fan von Klassik. Als wir noch zusammen studierten, habe ich ihn gefragt, was sein Traumjob wäre. Er sagte: Opern-Sänger. Er dachte, dass auf so einer Bühne zu stehen und zu spüren, wie diese machtvolle Stimme aus dem eigenen Körper kommt, das Größte wäre.“
Wie häufig bei Alt-J sind einige der Storys dieser neuen Songs mystisch und metaphorisch verpackt, pendeln zwischen Traum und Albtraum, Engeln und Dämonen – und das nicht nur in den Texten.
Avantgarde
„Joe hat Kunst studiert und ich englische Literatur. Dabei haben wir uns beide intensiv mit den Schriften der bekanntesten Kunstkritiker beschäftigt. Dadurch wollten wir dann bei der Bandgründung nicht nur Spaß mit der Musik haben, sondern ein avantgardistisches Element reinbringen, uns selbst herausfordern und sowohl mit den Texten als mit der Musik andere Wege gehen.“
Der Spaß kommt auf „The Dream“ aber auch nicht zu kurz. In dem Song „Hard Drive Gold“ arbeiten Alt-J sarkastisch das Thema Konsumwahn auf. Die Story ist fiktiv, handelt von einem erfundenen 15-Jährigen, der mit Kryptowährungen reich wird, aber auch davon, dass ihn das auch nicht glücklich macht.
Dahinter steckt eine wahre Geschichte von einem Mann in Wales, sagt Unger-Hamilton: „Er hatte vor Jahren Bitcoins gekauft. Er hat sie auf einer Festplatte gespeichert, das dann aber vergessen. Irgendwann hat er die Festplatte weggeschmissen. Drei, vier Jahre später hat er sich daran erinnert, dass da die Bitcoins drauf waren, die jetzt Millionen wert waren. Er verlangte von den Behörden, dass sie ihm sagen, wo auf seiner örtlichen Deponie der Müll von damals vergraben ist. Und dass sie ihm jemanden zur Verfügung stellen, der ihm hilft, nach der Festplatte zu graben. Darüber haben die Behörden natürlich nur gelacht.“
Einen Ausblick auf die Konzerte, die Alt-J im Sommer spielen werden – in Wien am 16. 7. beim METAstadt Open Air – gibt der Song „U&ME“.
„Am Neujahrstag 2020 war Joe auf einem Festival in Melbourne und schickte mir all diese Videos und Nachrichten davon, wie glücklich er dabei war. Mit dem Song schauen wir auf das zurück, was wir vor der Pandemie hatten, und wollen den Leuten aber auch einen Song geben, der sie an die guten Zeiten denken lässt, die bald wieder kommen werden.“
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