Als Frau der bessere Mann sein

Autobiografisch inspirierter Film: Anna Fischer als Alter Ego der Regisseurin: eine junge Frau, die entdeckt, dass Ihr Opa bei der SS war.
Barbara Albert hat ihren persönlichsten Film gedreht: "Die Lebenden" (ab Freitag im Kino).

KURIER: Der Film heißt auf Englisch „The Dead and the Living“, auf Deutsch: nur „Die Lebenden“. Hat das einen Grund?Barbara Albert: Er hat auch auf Deutsch lange „Die Lebenden und die Toten“ geheißen, aber die Toten klingen auf Deutsch so schwer. Im Englischen hat der Titel etwas Poetischeres. Ich habe dann bis kurz vor der Uraufführung noch viele Titel gesammelt, immer in der Hoffnung, doch noch den genialen Titel zu finden. Während der Drehzeit hatte wir den Titel einfach abgekürzt: Die Lebenden. Der Film handelt ja stark von den Lebenden und den Weiterlebenden nach dem Holocaust, die Verantwortung übernehmen müssen und hinschauen müssen und sich mit dem auseinanderzusetzen müssen, worüber in ihrer Familie jahrzehntelang geschwiegen wurde. Es geht inhaltlich nicht nur darum: Wie ist es mit den Toten? Sondern auch darum: Wie lebe ich weiter? Der Film soll dem Leben zugewandt sein. Wie leben wir? Wo übernehmen wir Verantwortung ?

Ihr Film handelt von einer jungen Frau, die ein Familiengeheimnis entdeckt: ihr Großvater war bei der SS und später ein Wachmann im KZ Auschwitz. Ist dieses Thema im Jahre 2012 nicht schon durchgekaut?Tatsächlich finde ich auch, dass 2012 ein reichlich später Termin für so einen Film ist: Weil die Tätergeneration stirbt und weil es nur noch wenige gibt, die darüber authentisch sprechen können. Es geht um Täterschaft, um Schuld und Verantwortung. Aber ja, ich war häufig mit dem Einwand konfrontiert, so ein Thema wolle niemand mehr.

Als Frau der bessere Mann sein

Sie schreiben im Begleittext, dass es ein sehr persönlicher Film ist, fast autobiographisch.Nicht alles in dem Film habe ich selbst erlebt. Ich habe mich selbst erst auf die Suche gemacht, nachdem mein Großvater gestorben ist. Das war kurz nach meinem Film „Nordrand“ und ich war schon 30. Mein Großvater stammte aus Siebenbürgen, wo viele junge Männer aus pragmatischen Gründen zur SS gingen - u.a. weil sie mehr bezahlt bekamen als bei der rumänischen Armee. Dass auch mein Großvater dabei war und später ein Wachmann im KZ , war bei uns ein Familientabu. Es wurde darüber geschwiegen.

Ihr Großvater kann - anders als im Film – dazu jetzt nicht mehr Stellung nehmen...Es ist natürlich sehr schade, dass ich mit ihm nicht mehr darüber sprechen konnte. Im Laufe des Drehbuchschreibens haben sich mir erst die Fragen gestellt, die ich ihm gestellt hätte. Es ist ein Schock sich vorzustellen, dass der eigene Großvater Wachmann im Konzentrationslager war. Da schämt man sich zunächst sehr. Der Film ist daher auch ein Film über die Scham. Opfer mussten sich schämen, weil sich die Täter nicht geschämt haben. Ich glaube, dass die Täter sprechen müssen und dass man ihnen die Stimme geben muss. Ich konnte auch ein Interview hören, das mein Onkel, der Schriftsteller ist, mit meinem Großvater gemacht hat...

...ah diese Figur gibt es auch im Film.Ja, das habe ich übernommen. Jedenfalls gibt es da ein Audiointerview, wo mein Großvater über Dinge spricht, die er getan hat. Was davon stimmt und was nicht, kann ich nicht beurteilen. Ich wollte von der Suche nach Beweisen und Belegen erzählen und von der Angst, etwas zu entdecken. Ich hoffe, das kommt auch im Film heraus: Mir geht es nicht darum, ihn anzuprangern. Ich bin weder in der Position ihm zu verzeihen oder ihn zu beschuldigen. Wichtig ist zu sagen, dass es ein Mensch ist. Ein Mensch, der in einem System konform war. Das finde ich interessanter als ein Monster zu beschreiben.

Als Frau der bessere Mann sein

Die Hauptfigur des Mädchens ist sehr naiv...war das eine absichtliche Entscheidung Richtung jüngeres Publikum?Tatsächlich habe ich den Film auch für jüngere Menschen gemacht. Ich habe auch die Hauptfigur jünger gemacht als ich selbst bin: ich habe Nichten, denen ich auch den Film gezeigt habe. Und ja, man lernt darüber zwar in der Schule, aber mittlerweile ist das Geschehene soweit weg, dass man es nicht mehr spürt. Man hat die Täter nicht kennen gelernt; hatte nicht die Chance haben, diese Zeit mit Großeltern aus erster Erfahrung zu besprechen. Insofern ist es wichtig, es in einem Film tun zu können.

„Die Lebenden“ ist ihr vierter Spielfilm. Warum hat es nach „Fallen“ solange gedauert?Dafür gibt es mehrere Gründe: Ich habe ein Kind gekriegt, ich bin nach Berlin gezogen und vor allem: ein Film ist geplatzt. Ich hätte einen amerikanischen Independent Film drehen sollen. Es war schon alles geplant, wir waren drauf und dran, mit Baby für einige Monate nach Kanada zu übersiedeln, da ist die Finanzierung – im Zuge der Weltwirtschaftskrise – geplatzt.

Sie sprechen von Ihrem Kind. Inzwischen ist Ihr Sohn fünf Jahre alt. Wie lässt sich das mit der aufreibenden Arbeit einer Filmregie verbinden?Ich habe mit Titus Selge einen Mann, der auch Regisseur ist und der das alles kennt. Wir wechseln uns in der Kinderbetreuung ab. Die intensive Zeit beim Dreh von „Die Lebenden“ dauerte vier Monate. Das war heftig und für uns alle nicht einfach, da ich dauernd unterwegs war. Es gibt Regisseurinnen, die mit einem Baby zum Set kommen, aber das könnte ich nicht.. Denn bei einem Filmdreh und im Familienleben gibt es höchst unterschiedliche Energien. Das Filmemachen und die Familie sind sehr schwer zusammenzubringen. Männern wird übrigens die Frage nach Vereinbarkeit von Regieberuf und Familie nie gestellt.

Glauben Sie, dass es eine spezifisch weibliche Form gibt, Regie zu führen?Nein, Ich fühle mich als Regisseurin - glaube ich - nicht anders als ein Mann. Es gibt so viele verschiedene Arten, Regie zu führen: das kann man nicht auf männlich oder weiblich reduzieren. Dennoch habe ich mit dem Einstieg in die Berufswelt gemerkt, dass es Unterschiede gibt. Wenn ich als Regisseurin Nein sage, gelte ich als hysterisch. Wenn ich sage, ich muss nachdenken, dann sagt man mir nach, ich weiß nicht was ich will. Ich weiß selbst mittlerweile, mit wem ich arbeiten muss, damit mir das nicht passiert. Dennoch: Frauen werden beim Film mit anderen Maßstäben gemessen. Wir Frauen müssen jedes Mal wieder beweisen, dass wir das Recht haben, an dieser Position zu sein: nicht nur als Regisseurin. Das finde ich anstrengend. Und um in einen Wettbewerb eines Filmfestivals zu kommen, muss du als Frau der bessere Mann sein.

Sie spielen auf Cannes an, wo es heuer Proteste gab, weil keine Filme von Regisseurinnen eingeladen wurden. Warum gibt es weniger Frauen- als Männerregisseure?Es gibt gar nicht weniger. Sie kommen nur nicht so viel zum Arbeiten. Es scheint noch immer die seltsame Ansicht verbreitet zu sein, dass das Filmemachen für Frauen so eine Art Hobby ist und dass sie nicht ihre Familie damit ernähren müssen.

Vielleicht ein Thema für einen Film...Ist es denn schwieriger, einen Film über ein so persönliches Thema zu machen wie „Die Lebenden“?Ja, ich finde es schon schwieriger. Allein schon, wenn fremde Menschen eine Figur spielen, der der eigene Vater als Vorlage dient. Gleichzeitig ist das gut. Es ist schließlich kein Dokumentarfilm und man kann sich auch ein wenig zurückziehen und sagen: Es ist alles konstruiert, es war nicht so wie ich es erzähle. Rückblickend ist es vielleicht gar nicht so schlecht, dass die Finanzierung des Films (vor allem in Deutschland) so zermürbend war. In der Zeit konnte ich damit umgehen lernen, dass ich so etwas Persönliche mache.

Wie war die Reaktion Ihrer Familie auf den Film?Ich habe ein Familien-Screening gemacht für die nahe Familie. Ich glaube, der Film hat uns näher zusammengebracht. 

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