Alina Bronskys neuer Roman: Großmutter macht Patchwork

Alina Bronskys neuer Roman: Großmutter macht Patchwork
Wieder steckt die Schriftstellerin mit Lebensfreude an. Aber ihrer starken und stark meschuggenen Heldin will man lieber nicht begegnen.

Alina Bronsky hat in letzter Zeit russische Großmütter besonders gern. Unglaubliche russische Großmütter. Da kann noch so oft in der Zeitung stehen, sie achte  sehr auf den Publikumsgeschmack.
 Das tut sie. Und?
Unterfordert wird man von ihr jedenfalls nicht. Mit Lebensfreude wird man angesteckt.
 In „Baba Dunjas letzte Liebe“ (2015) war es  eine über 90-Jährige, die in der Todeszone von Tschernobyl ihr Paradies hatte.
Trotzdem hatte.

Keine Rehaugen

Im neuen Roman, ab Dienstag in den Buchhandlungen, heißt die Großmutter Margarita Iwanowna. Sie ist  – geschätzt –  60 und hat einen rot gefärbten Zopf.
Das drückt Selbstsicherheit aus (die sie meist hat).
Diese Großmutter pflanzt keine strahlenden Gurken – sie kümmert sich um das Baby, dass der Großvater mit der Nachbarin Nina gezeugt hat.
Noch einmal langsam zum Mitdenken ...
Die Großmutter geht sogar täglich zu Nina und holt die abgepumpte Muttermilch. Das Fläschchen kocht sie  dort gleich aus, „Hygiene ist alles!“, während Nina im Boden versinken möchte.
 Naja, denkt sich Großmutter, der Großvater ist halt jünger. Wahrscheinlich haben ihm Ninas Rehaugen gefallen. Wäre die Großmutter vom Großvater wie ein Reh behandelt worden, hätte sie sicher auch so einen Blick gehabt.
 „Gratuliere zum Sohn!“, sagt sie. Und sie sagt nun  nicht mehr „Großvater“ zu ihrem Mann, sondern „Vater“.
„Der Zopf meiner Großmutter“ spielt unter russischen Juden – unter sogenannten Kontingentflüchtlingen –, die ab 1990 nach Deutschland kamen.
Wie einst Alina Bronsky  – ihr Weg führte vom Ural nach Darmstadt.
Im Buch kamen Margarita Iwanowna und ihr Mann Tschingis  mit dem Enkelsohn.
 Wehe, es fragt jemand, was mit dessen Eltern geschehen ist! „Hüte deine dreckige Zunge!“ sagt Großmutter sogar zum Buben.
Er ist unser Erzähler, der sich Jahre später  erinnert.

Blasser Mann

Alina Bronsky macht anfangs mit einer Frau bekannt, die ihr völlig gesundes, kluges Enkerl „Idiot“ nennt und „Krüppel“.
Um in ihrem Ton zu bleiben: Erschlagen könnt’ man die Alte.
Wie herzensgut sie ist, wird man erst merken.
Dass sie in der Volksschule  durchsetzt,  hinten im Klassenzimmer bleiben zu dürfen, damit den Enkelsohn niemand sekkiert, ist vielleicht ETWAS übertrieben.
Der Großvater bleibt im Buch blass. So ist er halt. Er schweigt und ... Seine Schuldigkeit hat er getan, damit wir eine starke, eine stark meschuggene Frau von allen Seiten betrachten können.
Begegnen will man  ihr nicht, lieber nicht, nein, nein, zur eigenen Sicherheit nicht.

 

Foto oben:
Zuletzt erschien bei dtv der Jugendroman „Und du kommst auch drin vor“: Alina Bronski

Alina Bronsky: „Der Zopf meiner Großmutter“
Kiepenheuer & Witsch.
224 Seiten.
20,60 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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