Alexis Sorbas - Von Nikos Kazantzakis

Alexis Sorbas - Von Nikos Kazantzakis
Sorbas ist archaisch und kraftvoll und gibt nur sich selbst gegenüber Rechenschaft ab. Wenn seine Seele überfließt, muss er tanzen oder auf seinem Santuri spielen.

Mit „ Alexis Sorbas“ betrat 1946 der moderne griechische Roman die Bühne der Weltliteratur. Das Buch lebt von seinen zwei ungleichen Hauptcharakteren: Auf der einen Seite der schriftstellerische Ich-Erzähler, jung, wohlhabend, an Büchern und Kunst geschult, dem Buddhismus anhängend und von seinen Freunden „papierverschlingende Maus“ genannt (von seinen Feinden verächtlich „Zierbengel“). Auf der anderen Seite eben er, Alexis Sorbas, dessen Gesichtszüge aufgrund der berühmten Verfilmung wohl ewig mit jenen Anthony Quinns verbunden sein werden. Im Buch wird er geschildert als Mitte 60, groß und hager, mit „aufgesperrten Augen“ und einem Gesicht „voller Runzeln, zerhackt, wurmstichig, wie zerfressen von Sonnenbränden und Regenschauern.“ Sorbas ist archaisch und kraftvoll und gibt nur sich selbst gegenüber Rechenschaft ab. Wenn seine Seele überfließt, muss er tanzen oder auf seinem Santuri (die griechische Variante des Hackbretts) spielen. Diese beiden Männer lernen einander zufällig kennen, werden gemeinsam eine Kohlemine auf Kreta ausbeuten und eine Seilbahn errichten – Projekte, die großartig scheitern. Sie werden wenig erfolgreich gegen Lynchjustiz und verlogene Priestermoral ankämpfen und sie werden sich beide verlieben: Sorbas in die rührend alternde Sängerin Madame Hortense, der Ich-Erzähler in „die Witwe“, die sämtlichen jungen Burschen des kretischen Dorfes den Kopf verdreht – und ihre Selbstständigkeit mit dem Leben bezahlt. Der Ich-Erzähler und Alexis Sorbas: Sie lernen voneinander, spiegeln sich, sind sich gegenseitig Sancho Pansa und Don Quijote. Die Polarität dieser beiden wirkt sich bis in die Sprache aus: Hier Sorbas’ einfache und derbe Worte, dort ausgefeilte Gedanken, die sich mit „Dem Mann mit dem Goldhelm“ von (damals noch) Rembrandt ebenso beschäftigen wie mit Dantes „Göttlicher Komödie“. Die Sprache fließt zwischen den beiden Charakteren hin und her, erschafft so ein einziges griechisches Wesen und zeichnet auf verzaubernde Weise die Landschaft Kretas.

Alexis Sorbas - Von Nikos Kazantzakis
Ein Königreich für ein Bild!

Ein großer Roman, ein feinfühliges und warmherziges Buch. Geschrieben hat es Nikos Kazantzakis, der 1883 auf Kreta geboren wurde und 1957 in Freiburg im Breisgau starb. Der Kosmopolit Kazantzakis schrieb eine Doktorarbeit über Friedrich Nietzsche, lebte u. a. in Österreich, Japan, Ägypten, Russland oder Palästina und lernte 1915 auf dem Berg Athos Georgios Sarbos kennen – jenen ob seiner Ursprünglichkeit beeindruckenden Mann, der Kazantzakis 30 Jahre später zu seiner berühmten Romanfigur inspirieren sollte. Wie im Buch versuchten Kazantzakis und Sarbos sich an einer Mine und scheiterten mit ihrem Vorhaben. Ein Jahr vor seinem Tod verlieh der Weltfriedensrat in Wien dem kretischen Dichter den Internationalen Friedenspreis. Archaisch, kraftvoll, unser Griechenland-Bild bis heute prägend – das ist die Figur Alexis Sorbas. Der Roman geht darüber hinaus, bindet seine Protagonisten nicht nur in ironisch-tragische Bilder ein, sondern stellt die großen Fragen nach Sinn und nach Liebe. Unvergessliche Szenen gibt es zuhauf: Der Tod von Sorbas Geliebter, die noch vor ihrem letzten Atemzug von den Klageweibern und Taugenichtsen des Dorfes bestohlen wird. Die Steinigung der Witwe. Und immer wieder: der tanzende Sorbas. Kazantzakis Roman ist nach wie vor aktuell – das zeigt nicht nur eine erneute Lektüre, sondern etwa auch das 2010 von Konstantin Wecker komponierte Musical „Alexis Sorbas“. Und so ist das Buch nicht nur jenen ans Herz zu legen, die ihren nächsten Urlaub auf Kreta verbringen wollen. Denn Sorbas berührt uns alle.

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