Ist denn nirgendwo eine Kante, damit man sich wehtun kann?

alex capus
"Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer": Drei historische Lebensgeschichten, die der Schweizer Autor in einen Roman gezwängt hat

Man darf sich schon fragen, was „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ miteinander zu tun haben.

Es sind drei historische Figuren, und sie kannten einander nicht, und sie waren sehr verschieden.

Im November 1924 hätten sie einander in Zürich begegnen können. Theoretisch. Der Schweizer Bestsellerautor Alex Capus erwähnt das mehrmals. Obwohl, das bringt wirklich nichts.

Gebracht hätte es etwas, sich nur eine einzige Lebensgeschichte vorzunehmen. Dafür ausführlicher. Tiefer. Nicht hier eine Scherbe und da eine Scherbe.

Jene von Laura d’Oriano (1911–1943) zum Beispiel. Wenn Capus schon im allerersten Satz seines neuen Romans notiert „Ich mag das Mädchen“, no, dann hätte er sich halt ordentlich um sie gekümmert!

Nachtigall

Diese Laura wollte eines nie werden: eine mittelmäßige Sängerin wie ihre Mutter, tief dekolletiert in Spelunken. Genau das wurde aus ihr, als „Nachtigall von Kiew“ trat sie auf, Ehemann und Kinder verließ sie und hat schließlich für die Résistance in Italien U-Boote ausspioniert. Laura wurde hingerichtet.

Oder jene von Felix Bloch (1905–1983), der den vorgegebenen Weg – Kanaldeckel-Hersteller – verließ und Atomphysiker wurde, Mitarbeiter an Oppenheimers amerikanischem Atombomben-Projekt (und Nobelpreisträger 1952).

Oder das Leben Emile Gilliérons (1885–1939), um den sich Alex Capus aber fast gar nicht kümmert. Sondern viel mehr um dessen Vater, dem Emile als Zeichner und „Schummler“ nachfolgte.

Vater Gilliéron – der wäre der persönlicher Favorit für ein Solo gewesen: Er hatte Schliemann und Evans bei Ausgrabungen begleitet, und seine um die Welt geschickten Skizzen täuschten die Entdeckung prächtiger Statuetten vor, obwohl bloß Bruchstücke gefunden wurden. Archäologen ärgern sich noch heute darüber.

Ist denn nirgendwo eine Kante, damit man sich wehtun kann?
cover
Laut Capus ist der gemeinsame Nenner – das Scheitern. Aha.

Immerhin schreibt er enorm elegant, geschliffen ... der Roman stellt sich wie ein Dressman dar.

Allerdings könnte man angesichts dieser Perfektion durchaus kritisch werden:

Weil man sich bei diesen Geschichten als Leser zwischendurch gern den Kopf anhauen würde. Aber nirgendwo ist eine Ecke, eine Kante.

Gern würde man etwas spüren.

KURIER-Wertung: **** von *****

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