Die Kunst sucht neue Freunde
St. Petersburg ist vieles – die nördlichste Millionenstadt der Welt, etwa. Sie ist auch dauerhaftes Zeugnis des einstigen bewundernden Blicks der russischen Zaren Richtung Westeuropa: Europäisch sollte St. Petersburg werden, so bestimmte Peter der Große, der insbesondere die niederländische Kunst immens schätzte.
300 Jahre später lässt sich, in einem so beachtlichen wie erwartbaren Twist der Geschichte, beobachten, wie sich die Verhältnisse allmählich umkehren: Der Kunstmarkt richtet den Blick längst verstärkt nach Osten. Dorthin, wo millionenschwere Kunstkäufer und Unternehmen warten, die ihr Geld in Renommee investieren wollen.
Also zum Beispiel in die Albertina in Wien.
Die hat in und mit Russland viele aktuelle und kommende Vorhaben. Zum ersten Mal seit fast vier Jahrzehnten stellt die Albertina in der renommierten Eremitage in St. Petersburg aus: Aus der Sammlung Batliner wird eine Schau bestritten, die dem Geburtsmoment des europäischen Expressionismus nachspürt. Am Freitag startet in Wien die Schau „Dreaming Russia“, mit zeitgenössischen russischen Kunstpositionen.
Impressionen der Ausstellung
Und für 2015 gibt es Pläne für eine Schau französischer Kunst des 18. Jahrhunderts im Moskauer Puschkin-Museum, sagt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder. Auch eine Ausstellung zu Georg Baselitz und Alex Katz im Russischen Museum in St. Petersburg und eine Alte-Meister-Schau in der Eremitage seien geplant.
Russische Freunde
Und am Samstag werden die „Russischen Freunde der Albertina“ offiziell gegründet. Die sollen der Albertina im kommenden Jahr 150.000, dann jährlich 250.000 bis 350.000 Euro verschaffen: Die Mitgliedschaft als Board Member kostet 25.000 Euro.
Der Gründungszeitpunkt ist kein Zufall: Viele russische Kunstfreunde sind diese Woche für die Viennafair in Wien. Deren Leiter, der Moskauer Immobilienmagnat Dmitry Aksenov, ist auf drei Jahre zum ersten Präsident der „Russischen Freunde der Albertina“ bestimmt worden.
Schröder betont: Nach den Österreichern und den Deutschen sind die Russen bereits die drittgrößte Besuchergruppe in der Albertina, 75.000 kommen im Jahr.
Rund 2,5 Millionen Besucher pro Jahr hat die Eremitage, und die können bis 12. Jänner in Raum 191 in einer großzügigen Ausstellungsgestaltung die Batliner-Werke aus der Albertina sehen. Im gewaltigen Kunstmuseum an der Newa interessierte man sich insbesondere für den späten Oskar Kokoschka, der dort kaum bekannt ist, schildert Schröder. Es gehe in der Schau um die Bewegung jener Künstler, die sich „durch Verinnerlichung von der Verpflichtung, Natur nachzuahmen, lösten“, sagt Schröder. In 55 Bildern umfasst die Ausstellung neben den Künstlergruppen Blauer Reiter und Die Brücke auch Werke von Picasso, Beckmann und Munch.
Die neuen Realitäten am Kunstmarkt werfen auch politische Fragen auf: Der russische Künstler Leonid Tishkov hat sich verbeten, dass sein Werk in der Wiener Albertina-Schau gezeigt wird. Er protestiert dagegen, dass Greenpeace-Aktivisten wegen ihres Engagements gegen die Ölförderung in der Arktis juristisch verfolgt werden.
Protest geplant
Die Ölförderung nämlich des russischen Gasriesen Gazprom, dessen Bank ihre Kunstsammlung in „Dreaming Russia“ zeigt.
Greenpeace werde im Umfeld der Wiener Schau protestieren, sagt Schröder, der betont: „Ein Museum sollte ein Ort der Toleranz und der Konfliktfähigkeit sein.“
Russische Kunst sei „eine politische Kunst“, sagt Schröder. „Die Gazprom Collection spiegelt das wieder.“ Es seien kritische Arbeiten darin, auch gegenüber dem internationalen Bankwesen. „Dass es diese Art Narrenfreiheit auch in russischen Unternehmen gibt, ist ein Riesenschritt“, sagt Schröder. Er finde es „völlig verquer“, auf Russland „hinzuhauen, wenn wir nicht gleichzeitig sagen, welche Riesenschritte das Land macht.“
Kommentare