Warum man lieber nicht mit dem Auto zur Kirche fahren sollte
Wenn Mr. und Mrs. Bennett in die Kirche kamen, zum heiligen Abendmahl, bei dem immer auch am Blut Christi, also am Messwein, genippt wurde – niemals sind sie mit dem Auto hingefahren.
Man befürchtete, nachher fahruntüchtig zu sein.
Mr. und Mrs. Bennett waren ein sehr vorsichtiges Ehepaar. Nicht ganz gesellschaftsfähig.
Einmal riefen sie ihren Sohn von einem seltenen Umtrunk in der Nachbarschaft an – freudig erregt, denn endlich, endlich hatten sie sich mit einem ... alkoholischen Getränk angefreundet (und gehörten nun "dazu"):
Gebiss waschen
Die Eheleute sind seit Jahrzehnten tot.
Ihr Sohn Alan ist gestern, Freitag, 80 Jahre alt geworden: Einer der großen Komödienschreiber Englands – fürs Theater ("The History Boys", sechs Tony Awards), für die BBC ("Talking Heads"), fürs Nachtkastl ("Die souveräne Leserin", "Così fan tutte").
Gute Literatur kann Trost sein, und vielleicht lernt man sich besser kennen. Bei Alan Bennett ist Literatur zusätzlich ein befreiendes Lachen angesichts aller Schrecken.
Das richtige Leben, das er beschreibt, ereignet sich nicht "woanders", sondern im vertrauten Kreis.
Denken wir an den nicht mehr jungen Sohn, der bei seiner alten Mutter wohnt. Er stellt sich in ihr Schlafzimmer und fordert sie forsch auf, ihm ihr Gebiss zu geben, damit er es waschen kann.
Denken wir an Miss S., die ihren Lieferwagen (in dem sie wohnte) in Bennetts Garten parkte. Jahrelang. Er hatte es ihr erlaubt. Auf der Straße verkaufte sie selbstverfasste Pamphlete. Schaute Bennett aus seinem Haus, sah er, wie Miss S. auf einem kleinen Elektroherd Damenbinden trocknete. Als sie Klopapier aus dem Fenster warf, ging es mit ihr zu Ende.
Wie andere Leute
2005, als Alan Bennett an Krebs erkrankte, schrieb er erstmals über seine Familie: der Humus für seine Geschichten. Liebevoll schrieb er. Man lacht niemanden aus. Aber man lacht. Die Übersetzung "Leben wie andere Leute" ist eben erschienen.
Der Vater – ein Fleischhauer, der lieber Geige spielte; die Mutter – geisteskrank geworden, aus Angst vor Verfolgern ging sie nicht mehr in die Küche und nicht mehr ins Vorzimmer ... Ein Großvater brachte sich um, Tante Kathleen hörte eines Tages nicht mehr zu reden auf.
Tante Myra – ja, die war lustig. Ein altes Foto zeigt ihre australischen Freunde – wobei Alan Bennett sich bei Ossie (rechts im Bild) schon fragt, ob er eine Badehose trägt oder eine Hängematte.
Als Myras Ehemann starb, verstreute sie seine Asche mitten unter sonnenhungrigen, picknickenden und recht verblüfften Urlaubern auf dem Ilkley Moor. Der Wind blies ihr die Asche ins Gesicht. Sie sagte: "Er wollte mich nicht verlassen."
Weil’s ja doch schön(-er) ist, das Leben.
KURIER-Wertung:
Kommentare