Dies war zuletzt der Fall, als die nunmehr 30-Jährige in einem Videointerview mit dem französischen Investigativportal Mediapart von sexuellen Belästigungen des Regisseurs Christophe Ruggia am Set ihres ersten Films, „Kleine Teufel“ im Jahr 2004 erzählte. Er habe sie – damals 15 – ständig angefasst und sie regelmäßig in ihrem Hotelzimmer besucht. Andere Mitarbeiter hätten das mitgekriegt, aber niemand habe den Mut gehabt, das Problem anzusprechen.
KURIER: Warum haben Sie diese Belästigungen erst jetzt, 15 Jahre später, publik gemacht?
Adèle Haenel: Weil die Welt sich seither verändert hat. Es geht mir nicht um eine Bestrafung Christophe Ruggias oder um Rache. Ich habe einfach begriffen, dass meine Geschichte keine private, sondern eine öffentliche ist. Ich will ihn nicht verklagen, aber die Faktenlage ist so eindeutig und wird von damaligen Crewmitgliedern bezeugt, dass die Pariser Staatsanwaltschaft von sich aus Ermittlungen aufgenommen hat.
Hat Ihnen auch Regisseurin Céline Sciamma, eine Kämpferin für Frauenrechte und eine Ihrer engsten Vertrauten, Mut gemacht, an die Öffentlichkeit zu gehen?
Céline ist für mich ein außerordentlich wichtiger Mensch. Nicht nur bei den Filmen wie „Porträt einer jungen Frau in Flammen“, die wir gemeinsam erarbeitet haben, sondern auch und vor allem als Mensch. Sie ist eine außergewöhnliche Künstlerin, absolut ehrlich. Sie tauscht sich mit dir aus und lässt deinen kreativen Input zu. Fordert dich zum Mitdenken heraus. Sie ist ganz präzise, wenn es um den Ausdruck von Gefühlen geht. Bei ihr gibt es keine Kompromisse. Diese Kompromisslosigkeit habe ich mir bis zu einem gewissen Grad angeeignet.
In einem Historienfilm, der im 18. Jahrhundert knapp vor der Französischen Revolution angesiedelt ist, würde man nicht unbedingt einen explizit feministischen Grundton vermuten. Bei Céline Sciamma wirkt dies ganz natürlich.
Ja, absolut. Generell basiert das Kino ja auf dem Glauben, dass etwas schön anzusehen sein muss, dass die Leute etwas vorgesetzt bekommen, was sie gerne ansehen. Das macht Angst. Dieser Anspruch, dass etwas einfach schön sein soll, ist geradezu furchteinflößend. Soll ein Film Konzessionen an die reine Unterhaltung machen? Céline würde diese Frage immer mit Nein beantworten. Sie stellt vielmehr Fragen wie „Wie ist das zu lieben, ohne besitzen zu wollen?“ oder „Wie schafft man es, sich in einer Beziehung als gleichwertig zu fühlen?“ Ihre Persönlichkeiten finden sich nicht in ständigen Konflikten wieder. Sie können zeigen, wie sie wirklich sind.
War die Sexszene mit Ihrer Filmpartnerin, der Malerin Marianne (Noémie Merlant), Stress für Sie?
Nein, eigentlich nicht. Ich setze bei solchen Szenen immer auf die Kraft der Suggestion, um mich zu schützen. Bei Céline sind Sexszenen nie l’art pour l’art, sondern es steckt immer eine Idee dahinter. Die Szenen macht im Plot des Films Sinn und sind niemals peinlich für die Darsteller. Oft wirken Sexszenen ja so konstruiert, dass sie nur zum Lachen sind.
In der deutschen Kinoproduktion „Die Blumen von gestern“ haben Sie in Ihrer Rolle Deutsch gesprochen. Könnten wir dieses Interview folglich auch auf Deutsch führen?
Oh nein, das wäre nicht möglich. Ich bin zu „Die Blumen von gestern“ mit einer glatten Lüge gekommen. Ich habe gesagt, dass ich gut Deutsch spreche, was sich aber sehr schnell als reichlich übertrieben herausgestellt hat. Regisseur Chris Kraus hat mir dann einen Intensiv-Sprachkurs verordnet. Mein Vater ist zwar Österreicher, ein echter Grazer, aber ich bin in Frankreich aufgewachsen und wir haben zu Hause immer Französisch gesprochen.
Und was ist Ihr nächstes Projekt?
Theater. Ich habe Lust auf Theater. Ich spiele in Nanterre und Paris in Gisèle Viennes Inszenierung von Robert Walsers Stück „Der Teich“ (die Aufführungen mussten jetzt kurzfristig abgesagt werden, weil Schauspielerin Kerstin Daley ganz unerwartet verstorben ist, Anm.). Ich kehre gerne ans Theater zurück, das ist matière brute, der Rohstoff für einen Schauspieler.
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