„Boyband-Fuzzi“ musste Selbstvertrauen tanken

Ich + Ich-Sänger Adel Tawil beim Donauinselfest auf Solopfaden unterwegs
Adel Tawil, ein Teil von Ich + Ich, gedenkt auf seiner ersten Solo-Platte seiner Frau und seiner Idole.

Natürlich war David Bowie nicht nur für einen Tag der Held von Adel Tawil. Das, erklärt der männliche Part von Ich + Ich, sei eine Konzession an Bowies berühmte Zeile aus dem Song „Heroes“. Im Text zur Single „Lieder“ spielt der 35-Jährige in ähnlicher Weise mit dem gesamten Kulturgut der Popmusik, mit Songs und Alben von Rage Against The Machine bis Michael Jackson. „Alle, die ich dabei erwähne, haben mich in irgendeiner Phase stark beeinflusst “, erklärt der Adel Tawil im Interview mit dem KURIER. Gerade hat Tawil mit dem ebenfalls „Lieder“ genannten Album seine erste Solo-Platte veröffentlicht. Etwas, das er sich lange nicht traute.

Warum hat es so lange gedauert, bis Sie ihr erstes Solo-Album gemacht haben?
Die Zeit nach The Boyz war ein richtiger Knacks in meinem Selbstwertgefühl. Denn da hat sich plötzlich keiner mehr für mich interessiert. Ich bin mit Hip-Hop groß geworden, und da ging‘s auch nicht nur um Hip-Hop, sondern um eine Lebenseinstellung. Und ich wollte das ja auch gar nicht machen. Aber als ich dann die Chance hatte, 1996 meinen ersten Plattenvertrag zu unterschreiben, habe ich sie genutzt. Da wurden natürlich viele Versprechungen gemacht, aber am Ende hat sich doch die Plattenfirma durchgesetzt, da waren wir dann auf einmal zur dritt. Und dann wurden nochmal zwei dazu gecastet, die gut aussahen.

Das heißt, Sie sollten eigentlich als Solist starten?
Ja, erst mal solo, deshalb war ich bei den Produzenten. Dann hieß es, okay, wir machen es zu dritt. Ich dachte, das ist cool, das kennt man von so dreistimmigen Bands aus den 90er-Jahren. Aber dann wurden daraus fünf und dann war es natürlich eine Boyband. Ich hatte großen Spaß dabei, ich war 17 und wir waren unfassbar erfolgreich – in Österreich, aber auch in Europa und Asien. Es war natürlich ein Karussell und mir war klar – abgesehen von den Managern, die uns da ausgesaugt haben -, dass ich danach verbrannt bin.

Das war Ihnen schon klar, als Sie den Vertrag unterschrieben haben?
Nee, da noch nicht.

Dann wurden Sie mit dem Vertrag reingelegt?
Na ja, du hast dann den Plattenfirmenchef vor dir, der sagt, glaub‘ mir, das muss so und so sein, vertraue uns. Da bist du dann mit 17 auch nicht derjenige, der sagt, nein. Da sagst du, schauen wir mal, wenn der das meint, wird es schon stimmen. Und ich bin ja auch ein Menschenfreund, und der Typ, der dazukam, war ein Netter. Der ist jetzt noch mein Partner, mit dem habe ich ein Studio. Also menschlich war das super. Da sagte ich, okay, dann machen wir das halt so. Aber irgendwann war klar, dass ich mich nicht mehr ausnehmen lasse, und ich entschied mich, aufzuhören.

Und danach kam der Einbruch . . .
Dann kam der Fall. Man denkt, man ist im Musikbusiness und es wird eine zweite Chance geben, ich schreib jetzt mal ein paar Lieder, produziere, mache Remixe. Aber mir war klar, dass der Zug für mich als Solo-Künstler abgefahren war. Denn als Boyband-Mitglied wirst du nicht ernstgenommen. Wir haben ja keine Musik gemacht. Das war Entertainment. Wir waren da, um den Mädels den Kopf zu verdrehen. Die Musik war Nebensache.

Aber es gibt - zwar weinige, aber immerhin doch ein paar - Beispiele von Ex-Boyband-Mitgliedern, die es geschafft haben. George Michael . . .
George Michael war etwas anderes, denn das war ja ein Duo. Aber die Beispiele, die es gibt sind Justin Timberlake und Robbie Williams. Und Justin hat es ähnlich wie ich gemacht. Er hat sich Timbaland und Pharrell Williams geholt, die größten Produzenten der damaligen Zeit, und hat damit seine Credibility hochgeschraubt. Ich habe es genauso gemacht.

Ist Ich + Ich nicht aus einem Zufall entstanden?
Ja, natürlich. Annette kam zu mir ins Studio und wir wollten eigentlich nur Demos machen, um die zu verkaufen. Aber dann haben unsere Stimmen so gut harmoniert, und sie meinte, dass wir das gemeinsam machen sollten. Da sagte ich, das kannst du dir nicht antun, die werden sagen, was willst du mit diesem Boyband-Fuzzi? Und sie, die mit ihrer Erfahrung da absolut drüber steht, hat gesagt, das interessiert mich nicht. Ich war da noch felsenfest davon überzeugt, dass meine Vergangenheit nicht egal war. Das war es aber. Für mich hat das aber viel damit zu tun, dass ein hoch anerkannter Musiker an deiner Seite ist und dich so ein bisschen protegiert. Das hilft natürlich, damit man in der Szene wieder Anerkennung bekommt.

Der Song „Aschenflug“ handelt von Drogen. Wann war das bei Ihnen ein Thema?
Ich war nie jemand, der sich jeden Tag weggeschossen hat. Und für mich zählt zu heftigen Drogen auch der Alkohol. Als ich mit The Boyz fertig war, habe ich Bestätigung gesucht. Ich hatte kein Geld, habe in meinem Tonstudio gewohnt, und hab versucht, irgendwie wieder an den Start zu kommen. Ich war abends immer alleine, ein armes Würstchen. Das Selbstbewusstsein war am Boden und das hat man sich dann im Nachtleben wiedergeholt. 1999 und 2000 kamen die Leute ja auch noch auf mich zu und haben gesagt, du bist doch der Typ von der Boyband, hier ist ein Drink. Diese Phase meine ich. Aber wenn ich singe „Du bist auf deinem Aschenflug“, meine ich auch jemanden, der nicht merkt, dass er ein Arsch ist, dass er ununterbrochen Leute verletzt und irgendwann einmal alleine dastehen wird. Das geht mit Drogen natürlich deutlich schneller. Aber es gibt auch Leute, die das sehr gut ohne Drogen hinkriegen. Ich hatte diese Erfahrung auch selbst: Irgendwann war ich so mit mir selbst beschäftigt, dass mich meine Eltern nicht mehr angerufen haben. Auch, weil ich so down war, dass ich sehr oft nicht ans Handy gegangen bin.

Wie haben Sie das Studio finanziert, wenn Sie nach The Boyz kein Geld mehr hatten?
Das Wenige, was von The Boyz übriggeblieben war, habe ich da reingesteckt. Auch mit ein bisschen Kredit von einer großen Bank. Zu Boyz-Zeiten war das natürlich leicht. Die sagten: „Schön, dass Sie da sind, sie kriegen alles, was sie wollen.“ Aber danach wurde ich schnell – sagen wir - vom Hof gejagt.

Den Song „Dunkelheit“ haben Sie ihrer Frau Jasmin gewidmet.
Sie war für mich da als es mir schlecht ging. Wir haben uns kennengelernt, als ich am Boden war und wir sind zusammen Schritt für Schritt nach oben gekommen. Mussten wir auch. Sie hat gekellnert und ich habe versucht, mit der Musik, mit den ersten Remixes wenigstens halbwegs die Miete bezahlen zu können. Und am Ende des Monats hatte wir nicht mehr genug Geld, um Zigaretten zu holen. Und meinen Eltern wollte ich davon nichts erzählen. Dann war mir das Wichtigste, denn mein Vater ist Ägypter und meine Mutter Tunesierin. Sie sind nach Deutschland gekommen, damit es uns besser geht. Sie haben hart gearbeitet. Mein Vater hat im Restaurant in Doppel-Schichten geschuftet und meine Mutter war bei Siemens am Fließband. Und ich breche das Abitur ab für eine Band, die nach vier Jahren vorbei ist. Und ich bin nicht Multimillionär und für immer abgesichert. Deshalb habe ich, wenn meine Eltern mich gefragt haben, wie geht es dir, brauchst du etwas, immer gesagt, nein, alles läuft geil. Das war schon eine harte Zeit.

Mich wundert, dass Sie mit dieser Herkunft in keinem Song darauf eingehen, was in jüngster Zeit in den Heimatländern ihrer Eltern passiert ist. Warum klammern Sie das aus Ihrer Musik aus?
Das gehört zu einer politischen Band, und dazu gehört meiner Meinung nach auch eine etwas aggressivere Musik. Man kann schon Songs darüber machen, aber auf etwas andere Art. Ich habe zum Beispiel mit Matisyahu „Zuhause“ gemacht. Denn was zur Zeit in Ägypten passiert, dass sich Christen und Moslems beschießen, das ist so furchtbar, da will ich schon auch ein Zeichen setzen. Matisyahu ist jüdischer Abstammung und mit dem Song sage ich, wir sind auf den ersten Blick so verschieden, aber das ist egal. Musik verbindet und wir bringen zusammen die Welt zum Leuchten. Und ein zweites Lied in diese Richtung habe ich auch noch.

Welches denn? Das ist mir nicht aufgefallen.
Das ist auch nur eine Art Bonus-Track auf der Deluxe-Edition. Es heißt „Paradies“ und da werde ich schon konkreter: Ich sage, eines Tages ruhen alle Waffen, eines Tages brauchen wir kein Paradies. Was für mich, der ich islamisch erzogen wurde, schon ein kontroverses Statement ist. Denn das heißt, dass ich keinen Bock auf irgendwelche Paradiese habe, die mir versprochen werden. Auch wenn ich an Gott glaube und glaube, dass man ein guter Mensch sein muss, glaube ich nicht, dass es richtig ist, für irgendwelche Versprechungen, die dir im Paradies gemacht werden, Dinge zu tun, die nicht richtig sind.

Glauben Sie, dass das Diskussionen auslöst?
Wenn das jemanden stört, dann ist es halt so. Aber es gibt in diesen Ländern im Moment sehr viele Menschen, die mit erhobenem Zeigefinger durch die Gegend rennen und Leuten erzählen wollen, wie sie zu leben haben. Das ist nicht der Sinn des Islams. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und jeder soll für sich selbst entscheiden können, wie er lebt. Meine Schwester trägt zum Beispiel kein Kopftuch, die hat einfach keine Lust darauf. Und umgekehrt gibt es viele Feministinnen im Islam, die ein Kopftuch tragen, aber deutlich machen, wir tun das nicht, weil die Männer das befehlen, sondern weil wir das so wollen. Für mich ist wichtig, dass jeder seine persönliche Freiheit hat. Dafür kämpfe ich schon.

Hatten Sie als Kind Probleme mit Rassismus?
Ab und an, aber nie in Form von Gewalt. Ich wurde nie verprügelt, weil ich anders aussehe. Aber man war schon vorsichtig. In Berlin weiß man schon genau, wo man besser nicht hingeht. Darüber rede ich auch im Song „Lieder“: Da gibt es den Hinweis auf einen Song von Advanced Chemistry, der heißt „Fremd im eigenen Land“. Während ich aufgewachsen bin, haben mir meine Eltern immer gesagt: „Du bist hier Ausländer und du musst echt gut in der Schule sein, sonst hast du keine Zukunft.“ Und dann kam dieses Lied, in dem es heißt: „Ich habe einen grünen Pass mit einem goldenen Adler drauf“. Drei Typen aus aller Herren Länder, die sagen: „Hört auf, uns Ausländer zu nennen. Wir sind Deutsche, wir sprechen vernünftig Deutsch, was soll der Quatsch?“ Das hat meinen Blickwinkel total verändert. Da bin ich dann mit einem ganz neuen Selbstbewusstsein durch die Stadt gegangen und habe gesagt: „Hey, ich bin Berliner, was wollt ihr eigentlich von mir?“

INFO: Adel Tawil ist am 22. März 2014 live in die Wiener Stadthalle.

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