Achtung: Kulturvision fährt durch

Bahnsteig am neuen Hauptbahnhof Wien: Das Umfeld gehört zu den wichtigsten Entwicklungsgebieten der Stadt.
Das Umfeld des Wiener Hauptbahnhofs wird ohne neue kulturelle Großprojekte auskommen.

Man hatte dicke Hochglanzbroschüren gedruckt, Studien in Auftrag gegeben, sogar „Mister Guggenheim“, Thomas Krens, hatte ein Konzept vorgelegt: Doch von den Visionen, das Umfeld des neuen Wiener Hauptbahnhofs durch kulturelle Vorzeigeprojekte aufzuwerten, ist zwei Jahre nach dem ersten KURIER-Bericht über die Visionen wenig übrig.

Achtung: Kulturvision fährt durch
Das geplante "Quartier Belvedere Central", rechts oben imBild der "Erste Campus" (Computergrafik)
Zur Erinnerung: Die ÖBB hatte die Grundstücke neben dem Bahnhof an ein Konsortium von Investoren verkauft, die das Gebiet seit 2010 unter dem Markennamen „Quartier Belvedere“ entwickeln. Am weitesten gediehen ist der „Erste Campus“, der im Dezember 2015 übergeben werden soll. Ein benachbartes Grundstück gegenüber des 21er Hauses blieb lange für das Wien Museum reserviert – im Herbst 2013 fiel jedoch dieEntscheidung, dieses am Standort Karlsplatz zu erweitern.

Das Grundstück am anderen Ende des „Campus“, genannt „Quartier Belvedere Central“ (QBC), ging ebenfalls im Herbst 2013 an den Entwickler Strauss & Partner, der die Konzepte zur Bespielung des Viertels nochmals überarbeitet hat.

Rentabilität gefragt

„Investitionen müssen vor einem wirtschaftlichen Hintergrund stehen, die Projekte müssen auch wirtschaftlich erfolgreich sein“, sagt Claus Stadler, Geschäftsführer von Strauss & Partner, im KURIER-Gespräch. Die Idee des einstigen Guggenheim-Chefs Krens für ein nobles „Kultur-Kaufhaus“ sei „schlicht und ergreifend nicht umsetzbar“ gewesen, sagt der Immobilien-Entwickler.

Achtung: Kulturvision fährt durch
Noch ist das "Quartier Belvedere Central" Baustelle (Aufnahme vom 9. März 2015)
Doch auch ein zuvor erarbeitetes Konzept, das ein offenes Kulturzentrum unter Beteiligung des Linzer Ars-Electronica-Centers und anderer Institutionen vorgesehen hätte, kommt nicht zur Umsetzung: Der von den Architekten Jabornegg & Palffy gestaltete Bau, der in früheren Phasen als „Kultur-Kubus“ tituliert war, ist nun als reiner Bürobau mit Geschäften in der Erdgeschoßzone geplant. Demnächst sollen die Unterlagen zur Genehmigung eingereicht werden.

Weiter verfolgen will Strauss & Partner die Idee einer „Markthalle“ mit Gastronomie-Angeboten im QBC. Ein Musical-Theater eines privaten Betreibers, dessen Errichtung einst diskutiert wurde, scheint in den Plänen nicht mehr auf.

Die Erste Bank will auf ihrem Campus einen „Financial Life Park“ entwickeln, auf dem Schulkindern die Finanzwelt begreifbar gemacht werden soll. Die Erste Stiftung wird zwar über einen Veranstaltungsraum verfügen, heißt es auf Anfrage. Für die renommierte Kunstsammlung der Stiftung wird es keinen permanenten Galerieraum geben: Man plane nur kleinere Präsentationen.

„Es ist zwar der Zug schon abgefahren, aber wir können ihn noch redimensioniert versuchen, einzuholen“, sagt dazu Robert Nowak, der seitens der Stadt Wien als Projektleiter für den Hauptbahnhof zuständig ist.

Neue Gedanken

Sein Team bemühe sich, die Entwickler regelmäßig an einen Tisch zu bringen. Ein Anliegen sei, „in den Köpfen der Investoren neue Gedankenbilder zu installieren“, so Nowak: „Dort ist festgesetzt: Kultur bedeutet Förderung, das heißt Stadt oder Bund. Kriege ich keine Förderung, gibt’s auch keine Kultur. Davon muss man sich lösen.“

Nowak findet, dass es angesichts der Nähe des Bahnhofs zu Belvedere, 21er Haus und Heeresgeschichtlichem Museum sowie der guten Anbindung an die Innenstadt nicht unbedingt ein neues Großprojekt im Hauptbahnhof-Areal braucht. Er denkt eher an Räume für kleinere Initiativen, auch Amateur-Gruppen, die sich mithilfe bestehender Förderinstrumente breit machen können: „Das muss langsam wachsen“.

Dass die Visionen 2015 redimensioniert anmuten, hat wohl auch mit Realitätsbewusstsein zu tun. „Man kann nicht das Wien Museum neu machen, all die anderen Dinge finanzieren. Und dann baut die Stadt noch etwas anderes“, erklärt SP- Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny auf KURIER-Anfrage. „Wir müssen ein bisschen am Boden bleiben.“

Belvedere-Direktorin Agnes Husslein verbirgt ihre Enttäuschung kaum: „Grundsätzlich finde ich es schade, dass bei der Planung des Quartier Belvedere keine städtebauliche Gesamtverantwortung abzulesen ist“, erklärt sie. Sie konzentriere sich nun auf die Weiterentwicklung des 21er Hauses und sei für Kooperationen offen, sagt Husslein. Hans-Christian Heintschel, Sprecher des Projektteams der Stadt, hält hingegen weiter daran fest, dass sich das Quartier zu einem lebendigen Stadtteil entwickeln wird. „Nur weil ein großes Raumschiff – das Wien Museum – nicht gelandet ist, bedeutet das nicht, dass das Gebiet kein Landeplatz für Kultur ist“, sagt er.

Das Gebiet, das im Zuge des Hauptbahnhof-Neubaus gestaltet wird, ist mit rund 109 Hektar ungefähr so groß wie der 8. Wiener Gemeindebezirk. Das „Quartier Belvedere“ umfasst insgesamt 25 Hektar: Fünf Bauplätze nördlich des Bahnhofs, begrenzt von Gürtel und Arsenalstraße, die ÖBB-Zentrale und drei weitere Baufelder südlich der Schienen. Das Sonnwendviertel im 10. Bezirk gehört nicht mehr zum "Quartier Belvedere", zählt aber zu dem Stadterweiterungsgebiet, in das - inklusive des Bahnhofsbaus - rund 4 Milliarden Euro an Investitionen fließen. www.hauptbahnhof-wien.at

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