"Meine halbe Welt ist weggestorben"

Schenk, Marecek und Serafin über den Verlust eines großen Verführers.

Bei der Premierenfeier zu seiner letzten Arbeit (Regisseur von "Schon wieder Sonntag", Kammerspiele, März 2015) sagte Helmuth Lohner über das Alter: "Es tut mir in der Seele weh, nicht noch einmal den Jakobsweg gehen zu können." Dieser Pilgerpfad – über Hunderte Kilometer bis zum Ziel in Santiago de Compostela (Spanien) – hatte ihm das Äußerste abverlangt und ihn im Innersten berührt: "Da habe ich Dinge über mich erfahren, die ich nie geahnt hatte." – Selbstironischer Nachsatz: "Und die ich zum Teil eigentlich nie erfahren wollte."

Hoch in seinen Siebzigern ließ sich Lohner noch firmen. Im Steffl, von Dompfarrer Toni Faber, mit Christian Konrad als "Göd" (Firmpate), der ihm stilecht eine Uhr schenkte. Danach ging es in den Prater zur Ringelspielfahrt und zu einer Stelz’n ins Schweizerhaus. Faber: "Mein sicherlich ältester Firmling." Konrad, 2011 auch Trauzeuge bei der Hochzeit Lohners mit Elisabeth Gürtler: "Ein intellektueller Sinnsuchender."

Sein "Zwilling" auf vielen Bühnen und über Jahrzehnte stets auch abseits davon: Otto Schenk (85). "Ich kann das Loch gar nicht schildern, dass er jetzt mit seinem Tod in mein Leben reißt. Meine halbe Welt ist weggestorben."

Sein zäher Kampf

Schenk und Lohner kannten einander schon seit den frühen 1950ern – "als blutjunge schlechtbezahlte Partisanen an der Josefstadt, die sich unverfroren über die alten Regisseure lustig machten".

Den Zauber eines "unwiderstehlichen Verführers von Gottes Gnaden", so Schenk, hätte man schon damals verspürt. "Ein ganz komplizierter Mensch – aber genau das war ja der Reiz."

In der schwersten Zeit, in den letzten beiden Jahren eines zähen Kampfes gegen die heimtückische Krankheit, da "strandeten" Lohner und seine Ehefrau Elisabeth Gürtler "in unserem Haus am Irrsee". Dort, erzählt Schenk, "hat er ein zutiefst rührendes Aufleben demonstriert – er wollte sein Schicksal nicht wahrhaben". Die Dimension des Verlusts in einem Wort? "Dieses Wort heißt Lohner – und das steht für Humor, Urtalent, Bildung. Er war ja immer alles: Der dumme kleine Bub und der weise alte Mann. Er verstand mich besser als ich."

Heinz Marecek (69) faszinierte der nie verloren gegangene "Ottakringer Charme". Er erlebte Lohner als "durchscheinend, verletzlich, mit einer Sensibilität, die greifbar war – er war die hohe Kunst, aber immer mit einem Zipfel Schlurf. Eine weiße Lilie, erwachsen aus proletarischem Humus". Mit ihm in einer Garderobe gesessen zu sein, sagt Marecek, war von "unaufhörlichem wie unauslöschlichem Amüsement". Harald Serafin (83) unterbricht heute seinen Venedig-Urlaub, um Lohners größter Liebe, Elisabeth Gürtler, beizustehen. "Was ich diesem Mann verdanke! Der gebildetste, belesenste und dabei leiseste Mensch, den ich je kennenlernte. Er hat nie seine Kultur verloren. Er konnte alles. Tanzen, spielen, singen. Mein Schmerz ist gewaltig."

Der Tod Helmuth Lohners bedeute "einen unersetzbaren Verlust für die Josefstadt, für das deutschsprachige Theater und großen Schmerz für alle, die ihn kennen und ihm nahestanden", hieß es heute in einer ersten Reaktion des Theaters in der Josefstadt.

"Helmuth Lohner war ein hinreißender Darsteller feinnerviger Charaktere, ein Sprachkünstler, dessen schauspielerische Präzision, Phantasie und Hingebungskraft bewundert wurde", wurde Direktor Herbert Föttinger in einer Aussendung zitiert. "Abseits der Bühne war er ein bescheidener Mensch von feiner Gesinnung, der auch als Direktor der Josefstadt für Toleranz, Mitmenschlichkeit und Güte stand."

Staatsoperndirektor Meyer "tieftraurig"

Auch die Wiener Staatsoper trauert um den Kammerschauspieler. "Ich bin tieftraurig über den Tod von Helmuth Lohner. Für mich war und bleibt er ein Eckstein des österreichischen Kulturlebens, ein umfassender Theatermensch", zeigte sich Staatsoperndirektor Dominique Meyer in einer Aussendung betroffen

Lohner habe "neben seinem Vermächtnis im Bereich des Sprechtheaters und des Films auch als Darsteller und Regisseur das Musiktheater geprägt und nicht zuletzt mit seiner unvergleichlichen Personifikation von Wiener Bühnentypen à la Frosch oder 'Ariadne'-Haushofmeister auch Staatsoperngeschichte geschrieben", so Meyer. Die Silvester-"Fledermaus" in seinem ersten Direktionsjahr sei für ihn unvergessen.

An der Staatsoper debütierte Lohner am Silvesterabend 1979 als Frosch in der Premiere von Otto Schenks Inszenierung von "Die Fledermaus". Bis zu seinem letzten Auftritt im Haus am Ring am 3. Jänner 2011 verkörperte er diese Rolle insgesamt 31 Mal. Mit seinen Auftritten als Haushofmeister in "Ariadne auf Naxos" und Freitag in "Un re in ascolto" (Erstaufführung an der Wiener Staatsoper 1984) war Lohner insgesamt an 45 Abenden an der Staatsoper zu erleben.

Lohner werde jedoch nicht nur als Künstler eine große Lücke hinterlassen, "wir werden ihn auch als Mensch sehr vermissen, als stets freundlichen, bescheidenen und tiefgründigen Gesprächspartner. Es ist schwer wahrzuhaben, dass er nicht mehr ist", so der Staatsopern-Direktor.

Salzburg würdigt "unvergessliche Ereignisse"

"Danke, lieber Helmuth Lohner, für die übermenschliche Anstrengung, die geradezu furiose Passion, mit der Du Deinem Beruf, Deiner Berufung seit Jahrzehnten gerecht zu werden versucht hast. Danke für die Art, wie Du mit allem, was Du warst und hattest, mit Deinem Hirn, Deinem Herzen und Deinem Körper unvergessliche Ereignisse geschaffen hast", wandte sich Salzburgs Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler in einer ersten Stellungnahme direkt an ihren verstorbenen Freund.

Lohner hatte seit seinem Salzburg-Debüt 1972 insgesamt 237 Auftritte bei den Festspielen absolviert. "Er feierte wahre Triumphe in Salzburg, wahrscheinlich gerade weil er nie triumphieren wollte. Das Publikum verehrte ihn, obwohl er sich verbat Publikumsliebling genannt zu werden. Und er war ein unschlagbarer Komödiant, obwohl er das Leben nie von der spaßigen Seite nahm", hieß es in einer Aussendung der Salzburger Festspiele. Seine Nestroy-Darstellungen hätten Festspielgeschichte geschrieben, besonders verdient habe er sich um den "Jedermann" gemacht. "Sein Vaterunser vor der Domfassade war zum Katholischwerden."

Dem entsprechend hat auch der Salzburger Erzbischof Franz Lackner Lohner gewürdigt. Hochachtung zollte er auch dem sozialen Engagement des Verstorbenen: "Sehr oft hat er seine Begabung in Benefizveranstaltungen eingesetzt."

Auch Mörbisch-Intendantin Dagmar Schellenberger zeigte sich bestürzt. Österreich verliere "eine seiner distinguiertesten Bühnen-Persönlichkeiten", hieß es in einer Aussendung. Helmuth Lohner war bei den Seefestspielen Mörbisch erstmals 1999 mit seiner Inszenierung von "Eine Nacht in Venedig" tätig. Es folgten Inszenierungen der "Csardasfürstin" (2002), der "Lustigen Witwe" (2005), von "My Fair Lady" (2009) sowie der "Fledermaus" (2012), in der er den Gefängniswärter "Frosch" verkörperte.

Der Tod von Helmuth Lohner hat in der Politik zahlreiche Reaktionen ausgelöst. Allen voran würdigte Bundespräsident Heinz Fischer den Verstorbenen. "Als hinreißender Schauspieler, als Regisseur, als Theaterdirektor und als Mensch der Kultur" habe er "viele Menschen begeistert und dem kulturellen Leben starke positive Impulse gegeben. Darüber hinaus war er ein besonders liebenswürdiger Mensch."

"Helmuth Lohner war mehr als ein großer Schauspieler. Er war ein feinsinniger Mensch und Künstler, der es aus bescheidenen Verhältnissen auf die größten Bühnen im deutschen Sprachraum geschafft hatte und dort gefeiert wurde", zeigt sich Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) bestürzt über Helmuth Lohners Tod. "Unvergessen ist er als 'Jedermann' bei den Salzburger Festspielen, in Erinnerung bleibt er aber auch durch seine Rollen bei zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen und als Direktor des Theaters in der Josefstadt. Mit ihm ist ein ganz Großer des Theaters gegangen."

"Er war ein wandlungsfähiger, disziplinierter und hochsensibler Darsteller", reagierte Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ). "Mit Helmuth Lohner verlieren wir einen Menschen und Künstler, der die österreichische Theaterlandschaft geprägt hat wie kein anderer. Seine Darstellungskunst wie auch seine markante Stimme haben nicht nur das Wiener Theaterpublikum erfreut, unterhalten, begeistert und auch nachdenklich gestimmt, sondern auch in Leidenschaft versetzt. Seine Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen und in der Josefstadt ist zur Theatergeschichte geworden. Nicht nur auf der Bühne, aber auch in zahlreichen Film-und Fernsehproduktionen repräsentierte Lohner das 'Österreichische' in seiner besten Form."

"Helmuth Lohners Tod ist ein unglaublicher Verlust für die gesamte Kulturwelt", zeigten sich Wiens Bürgermeister Michael Häupl und Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (beide SPÖ) tief betroffen und hoben seine "Intelligenz, Moral und einer schier endlosen Kreativität" hervor: "Das Theater war sein Leben, die Bühne in der Josefstadt ebenso sein zu Hause, wie Film und Fernsehen. Als engagierter Bürger mit Haltung hat er sich auch für die Zivilgesellschaft eingesetzt und sich für Weltoffenheit engagiert. Dem Theater in der Josefstadt blieb er stets treu, auch und gerade in schwierigen Zeiten. Helmuth Lohners große Wiener Theaterfamilie bleibt zurück in Trauer, aber auch in Dankbarkeit für das, was er ihr geschenkt hat."

"Diese Nachricht macht mich sehr sehr traurig", meinte ÖVP-Kultursprecherin Maria Fekter in einer Aussendung. "Helmuth Lohner war einer der ganz Großen - ein Volksschauspieler, ein Charakterdarsteller, ein Theatermensch wie es nur selten einen gibt. Wir verdanken ihm wunderbare Erlebnisse und Momente auf den bedeutenden Bühnen des Landes und auch im Fernsehen." Lohner repräsentiere eine ganze Epoche der österreichischen Theaterwelt und stehe für beispiellose Schauspielkultur. "Helmuth Lohner hat uns als Theatermann auf und hinter der Bühne zum Lachen und zum Weinen, zum Nachdenken und Verstehen gebracht. Er hat sein Talent sensibel eingesetzt und versucht, an andere weiterzugeben. Wer ihn auf der Bühne erleben durfte, wird das nicht vergessen."

"Mit Helmuth Lohner ist eine ganz große Persönlichkeit von uns gegangen", sagte SPÖ-Kultursprecherin Elisabeth Hakel. "Sein Tod ist ein großer Verlust für die österreichische Kultur." - "Mit Helmuth Lohner geht ein großer Künstler von uns, wie er nicht nachzubesetzen ist", meinte der freiheitliche Kultursprecher Walter Rosenkranz. "Helmuth Lohner hat als Schauspieler und Regisseur Generationen von Österreichern begeistert. Er war das personifizierte 'Theater in der Josefstadt'. Unvergesslich bleibt uns auch Lohners komisches Talent."

"Mit Helmuth Lohner verliert das österreichische Theater einen für das Land und seine Kultur geradezu stellvertretenden Darsteller", reagierte der Kultursprecher der Grünen, Wolfgang Zinggl. "Seine großartige Verwandlungskunst war besonders dann verblüffend, wenn er als gemütlicher und gutmütiger Mensch, der er zweifelsfrei war, mit großer Empathie und Genauigkeit gegenteilige Charaktere imitierte. Das machen ihm wenige nach." - Und Team Stronach Kultursprecherin Jessi Lintl: "Mit Helmuth Lohner hat die österreichische Theaterwelt einen ganz großen Künstler verloren. Ob am Burgtheater, in der Josefstadt oder in Salzburg - Lohner spielte sich in die Herzen der Menschen und wird in seinen großen Rollen unvergessen bleiben."

Auch der ORF trauert um Helmuth Lohner: Generaldirektor Alexander Wrabetz erklärte in einer Aussendung: "Mit Kammerschauspieler Helmuth Lohner verliert das Land einen seiner vielseitigsten Künstler und herausragendsten Menschendarsteller und die ORF-Familie - im 60. Jahr des Fernsehens in Österreich - einen Protagonisten legendärer TV-Sternstunden wie "Radetzkymarsch" oder "Pension Schöller". Lohner war und ist in seiner Rolle als einer DER Publikumslieblinge der Nachkriegszeit auch untrennbar mit der Geschichte der Zweiten Republik verbunden. Mit ihm endet nun ein Stück österreichischer Zeitgeschichte, deren elektronischer Bewahrung sich der ORF verschrieben hat. Helmuth Lohners künstlerisches Vermächtnis bleibt daher auch im ORF für immer erhalten. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie."

In Gedenken an Helmuth Lohner ändert der ORF sein Programm: Neben der aktuellen Kulturberichterstattung im Rahmen der aktuellen Informationssendungen würdigt das ORF-Fernsehen den vielseitigen Künstler mit einer Reihe weiterer Sendungen. So ist der ORF-III-Abend am Mittwoch, dem 24. Juni, ab 19.50 Uhr zur Gänze Helmuth Lohner gewidmet: Auf ein "Kultur Heute Spezial", in dem die Weggefährten Peter Weck, Otto Schenk und Harald Serafin zu Gast bei Ani Gülgün-Mayr an ihren langjährigen Freund erinnern, folgt das Porträt "Helmuth Lohner - Ein Suchender" (20.15 Uhr) von Michael Bukowsky, in dem der introvertierte Künstler Einblicke in seinen persönlichen Weg und seine Gedanken gewährt. Danach ist die Aufzeichnung "Lacherfolge" (20.50 Uhr) von den Festspielen Reichenau 2005 zu sehen, in der die Vollblutkomödianten Helmuth Lohner und Otto Schenk humorvolle Glanznummern darbieten, sowie weiters die Nestroy-Inszenierung "Der Zerrissene" (22.20 Uhr) von den Salzburger Festspielen 1984, in der Lohner ebenfalls an der Seite von Otto Schenk zu sehen ist, der dabei auch Regie führte.

ORF 2 würdigt Helmuth Lohner zudem im Rahmen des "Kulturmontag" am 29. Juni um 22.30 Uhr. Am Samstag, dem 27. Juni, zeigt ORF 2 ebenfalls das Filmporträt "Helmuth Lohner - Ein Suchender" (13.25 Uhr) sowie anschließend eine Kammerspiele-Aufzeichnung des Neil-Simon-Komödienklassikers "Sonny Boys" (13.55 Uhr) mit Helmuth Lohner und Otto Schenk aus dem Jahr 1999.

Die ORF-TVthek stellt alle ORF-Sendungen, für die entsprechende Lizenzrechte vorhanden sind, als Live-Stream und als Video-on-Demand bereit.

Wenn jemand stirbt, waren plötzlich so viele Menschen zeitlebens befreundet mit ihm. Zählten zum engsten Kreis. Und wussten immer schon, um welch ein Genie es sich gehandelt habe.

Ich war mit Helmut Lohner nicht befreundet. Und habe ihn auch nicht jede Woche getroffen. Wann immer ich ihn aber sehen und sprechen durfte, hatten wir eine wunderbare Konversation. Zumeist über die Oper, die er genauso liebte wie das Schauspiel (weil ja die wirklich guten Schauspieler immer auch musikalische Menschen sind). Er konnte lange über Inszenierungen erzählen (gleichermaßen schimpfen und leidenschaftlich loben). Über jene seiner Kollege und solche, die er selbst verantwortet hatte. Er konnte von Sängern schwärmen. Von Dirigenten. Vor allem von fabelhaften Werken. Und er war keiner, der überzeugt davon war, dass früher alles besser gewesen sei.

Helmuth Lohner war ein brillanter Kopf, ein analytischer Mensch – und ein sehr feiner, lieber, kultivierter.

Einmal sagte er: „Der Unterschied zwischen einem Theater und einem Irrenhaus besteht darin, dass im Irrenhaus der Direktor normal ist.“ Wenn das stimmt, hat Lohner ein Irrenhaus geleitet.

Wer das Glück hatte, Helmuth Lohner auf der Bühne oder im Film erleben zu dürfen, also in Ausübung seiner Hauptprofession (sofern es so etwas bei einem großen Künstler überhaupt gibt), sah einen der intensivsten Menschengestalter, einen Porträtisten, einen Maler, dessen Pinsel die Sprache war, dessen Farbe die Geste. Einen Vertreter der Alten Meister. Und dennoch war er nie museal, sondern stets vorwärts gewandt. Ihn auf eine beste Rolle einschränken zu wollen, wäre nicht zulässig. Lohner war ein Gesamtkünstler.

Seit langem wusste man, dass es gesundheitlich nicht gut um ihn stand, aber er verfolgte das Kulturgeschehen, ohne das er nicht leben konnte, bis zuletzt.

Jetzt muss die Kunst ohne ihn weiterleben, er wird schrecklich fehlen. Als Gestalter, als Beobachter, als Kommentator. Adieu.

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