Worttüftler Dr. Martin S. reitet wieder. Seine Kollegin Ursula F. leidet unter einem beleidigten Supraspinatus und muss deshalb sogar eine Schiene tragen. Statt ihr das gebührende Mitgefühl zu erweisen und baldige Besserung zu wünschen, amüsiert sich Dr. S. über die Bezeichnung ihrer Verletzung: „Ich dachte immer, das grüne Gemüse ist so gesund!“ Tatsächlich handelt es sich beim Supraspinatus um eine Sehne, die zwischen Oberarmkopf und Schulterdach verläuft und bei Überlastung bzw. Riss saftige Schmerzen verursachen kann. Ergo: Die verletzte Kollegin sehnt sich nach allem, nur nicht nach billigen Wortwitzchen von Dr. S.
Die medizinische Fachterminologie besteht ja großteils aus lateinischen Begriffen, die in der sog. „Terminologia anatomica“ gesammelt sind. Dieses internationale Regelwerk stellt sicher, dass die anatomischen Bezeichnungen in allen Ländern einheitlich verwendet werden. Wenn Sie sich z. B. das nächste Mal das rechte vordere Kreuzband reißen, ist es (wenigstens sprachlich) völlig egal, wo Sie eingeliefert werden: Die schriftliche Diagnose wird immer rupt. lig. cruc. ant. gen. dext. lauten. Wobei: Wenn Sie boshaft sind, ersuchen Sie den Arzt auch um die mündliche Wiedergabe dieser Diagnose. Die ist nämlich wegen der Neigung des Lateinischen zu komplizierten Endungen anspruchsvoller als die Diagnose selbst (und lautet in diesem Fall ruptura ligamenti crucis anterioris genus dexteri). Hoffentlich saniert Ihr Arzt dann Ihr Knie auch wirklich.
Dem Vernehmen nach wird Latein unter Ärzten auch gerne als eine Art Geheimsprache verwendet, um die Patienten von der Kommunikation auszuschließen.
Wenn Sie auf der Karteikarte Ihres Zahnarztes z. B. die Abkürzung c. p. lesen, kann das für caries profunda (= tiefe Karies) stehen – aber auch für caput pigrum (= in etwa: „fauler Sack“). In diesem Fall liegt der Verdacht nahe, dass Sie von Ihrem Arzt für eine OS (= Oralsau) gehalten werden. Spätestens dann sollten Sie jedenfalls Ihre Zahnputzgewohnheiten überprüfen.
Fundstück der Woche: „Den Herbst genießen und im Kamin dem Feuer zuschauen“ (Statusmeldung auf einer Datingseite) – Da wird einem sicher nicht nur ums Herz warm.
Wolfram Kautzky ist Philologe und geht gerne den Wörtern auf den Grund.
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