Wie ein Liebesakt
Dass Musik mit Erotik harmoniert, ist ja wirklich nichts Neues. Die Frage ist nur: Welche Musik darf’s denn zum Vorspiel und zum Akt sein?
Ich habe hier schon oft darüber geschrieben, denn eine der häufigsten Fragen, die mich erreicht, gilt einer „Playlist-Empfehlung“ fürs Vögeln. Ich antworte dann immer brav, dass ich keine DJane-Ambitionen in mir verspüre, aber natürlich gibt’s da persönliche Lieblinge. Ich mag Jazziges und Souliges, das sind herrlich anregend-laszive Klänge zu Kerzenlicht und Koitus. Und natürlich kann man immer auf Soulhymnen wie „When a Man Loves A Woman“ von Percy Sledge aus 1966 verweisen. Oder auf „Love to Love You Baby“ (mit starker Betonung auf „Aaaahw“) von Donna Summer, aus den 1970ern. Da geht was. Eher öd finde ich Stöhnsongs im Stile von „Je t’aime“ von Jane Birkin und Serge Gainsbourg.
Klassik mit Erotikfaktor
Im Zuge von Recherchen zu einem anderen Thema las ich unlängst bei einer Online-Diskussion zur Erotik klassischer Musik mit. Hitzige Sache. Seit Diven wie Anna Netrebko in verführerischer Montur und hingegossener Pose CD-Cover zieren, schwingt im Genre „Klassik“ viel Sexyness mit, was ich eigentlich toll finde. Manche (strengen) Klassikliebhaber lehnen das allerdings ab, wie ich aus der Diskussion herauslesen konnte. Für sie hätte das Genre eine rein vergeistigte Komponente, Klassik sei etwas Edel-Erhabenes. Elite für die Elite. Das finde ich nicht gut, weil es für mich kaum etwas Sinnlicheres gibt als Musik – dazu gehört auch die Klassik. Bei einer Symphonie von Bruckner kann ich mich in die Hingabe hören, auch wenn Bruckner es vermutlich anders gemeint hat. Nur bei Opern hatte ich meine Probleme – tut leid, aber ich fand da kaum eine Verbindung. Bis vor einiger Zeit, als ich mit meiner Herzens- und Jugendfreundin, der Sopranistin Susanna von der Burg, bei Rotwein zusammensaß. Erst redeten wir von früher, wie wir gemeinsam Pink Floyd und Temptations hörten (und ich immer falsch mitsang). Dann ließ ich mich von ihren Gedanken zur Erotik der Oper berieseln. Irgendwie magisch. Wie sie beschrieb, was sie beim Singen fühlt, wie Töne in ihrem Körper („mein Instrument“) entstehen, und sie das wie einen Liebesakt empfindet, berührte mich. Nicht nur: Ich beneidete sie für ihre Gabe, denn, wie gesagt: Ich sang immer falsch, sie immer richtig. Dann erzählte sie, was sie in ihren Rollen diesbezüglich schon erlebt hatte. Zum Beispiel als Katerina aus Lady Macbeth von Mzensk, in dem es einen „komponierten Koitus mit Höhepunkt und anschließend hörbarer Erschöpfung“ gab. Oder wie sie als Marschallin im Rosenkavalier nach einer Liebesnacht mit dem jungen Geliebten erwacht. Die für sie erotischste Rolle war, erzählte sie, die Violetta aus La Traviata mit der großen Arie „Estrano, estrano …“ Schließlich sang sie für mich, ganz alleine. Seither fühle ich anders.
Der Abend dauerte noch lange, im Hintergrund lief erst Strauß, dann Barry White in Endlosschleife. Wir erinnerten uns weiter. An die scheinbar endlos langen Sommer unserer Jugend. An Gewitter im Freibad und Küsse im Regen. An Gefühlsberge und Gefühlstäler. Wohl wissend, dass wir nicht mehr so viel Zeit haben, wie damals, als wir zu Temptations den Hintern schwangen.
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