Liebe Frau L., fehlende Zivilcourage wird oft als Kavaliersdelikt gesehen. Wie Sie aber richtig vermuten, gibt es hierzu auch eine rechtliche Grundlage, sogar im Strafgesetzbuch.
Beim weiterfahrenden Autofahrer könnte bereits die Körperverletzung unter Umständen strafbar sein, nämlich dann, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig den Unfall verursacht hat. Aus Ihrer Erzählung geht allerdings nicht klar hervor, ob nicht womöglich der Fahrradfahrer selbst schuld an dem Verkehrsunfall war. Eine automatische strafrechtliche oder auch zivilrechtliche Verantwortung beim Autofahrer gibt es nicht.
Anders ist das bei der Fahrerflucht. Hierfür ist es nicht wichtig, ob der Autofahrer an dem Unfall schuld war, relevant ist nur, dass er die Verletzung verursacht hat, dies erkannt hat und sich zumindest damit abfindet, dass der Verletzte vermutlich Hilfe braucht.
Beim Anfahren eines Fahrradfahrers ist davon auszugehen, dass der Autofahrer dies bemerkt hat. Hat er das nicht, hat er wohl schon davor grob fahrlässig gehandelt, da er nicht aufmerksam war, und ist somit schon für die Körperverletzung strafbar. Auch muss bei einem solchen Unfall der Autolenker davon ausgehen, dass der verunfallte Fahrradfahrer Hilfe benötigt.
Dieser Tatbestand nennt sich „Im-Stich-Lassen eines Verletzten“ (§ 94 StGB) und ist mit Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht. Sollte das Unterlassen der Hilfe schwere Verletzungen oder gar den Tod des Verunfallten zur Folge haben, erhöht sich das Strafmaß auf zwei bzw. drei Jahre. Sollte bereits die Körperverletzung mit strengerer Strafe bedroht sein, geht diese vor.
Für an Unfällen Unbeteiligte gibt es einen abgemilderten Straftatbestand, nämlich das „Unterlassen der Hilfeleistung“ in § 95 StGB. Dafür muss zunächst ein Unglücksfall oder eine Gemeingefahr vorliegen. Ein Unfall ist ein Unglücksfall, weil er plötzlich auftritt und eine Gefahr für Leib und Leben vermuten lässt.
Zusätzlich muss die Hilfsbedürftigkeit des Verletzten offensichtlich sein und die Hilfe zur Verhinderung von beträchtlichen Körperverletzungen oder des Todes notwendig sein. Halten die Passanten diesen Umstand zumindest für möglich und finden sich damit ab, gehen aber einfach weiter, droht ihnen eine Geldstrafe oder bis zu sechs Monate Freiheitsstrafe. Hat das Unterlassen der Hilfeleistung sogar den Tod des Verletzten zur Folge, erhöht sich die Freiheitsstrafe auf bis zu ein Jahr.
Die bloße Vermutung, dass schon jemand anderer helfen wird, befreit übrigens niemanden von dieser Pflicht. Das ist erst der Fall, wenn der Verletzte bereits angemessene Hilfe bekommt.
Rechtsanwältin Dr. Maria In der Maur-Koenne beantwortet juristische Fragen zu praktischen Fällen aus dem Reich des Rechts.
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