Lieber Herr A., es tut mir leid, dass das Verhältnis zu Ihrem Sohn so schlecht ist. Richtig ist, dass der Erblasser bei fehlendem Naheverhältnis zu einem Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil gemäß § 776 ABGB um die Hälfte mindern kann. Neben Ihrer Ehefrau hätte Ihr Sohn einen Pflichtteilsanspruch von einem Drittel Ihrer Verlassenschaft. Durch eine zulässige Pflichtteilsminderung würde sich dieser Anteil auf ein Sechstel halbieren.
Eine Pflichtteilsminderung ist nur dann zulässig, wenn der Erblasser nicht von sich aus den Kontakt grundlos gemieden hat oder er selbst Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben hat. Seit der Neuregelung des Erbrechts im Jahr 2017 reicht für eine Pflichtteilsminderung auch aus, dass das Naheverhältnis über einen längeren Zeitraum vor dem Tod des Erblassers nicht bestanden hat. Da Sie schreiben, seit 7 Jahren keinen Kontakt zu Ihrem Sohn zu haben, ist eine Pflichtteilsminderung wohl noch nicht zulässig. Frühestens nach etwa zehnjährigem, sicherlich nach einem etwa zwanzigjährigen gänzlichen Kontaktabbruch wird eine Pflichtteilsminderung auf die Hälfte zulässig sein.
Eine derartige Pflichtteilsminderung ist in Form einer letztwilligen Verfügung vorzunehmen. In einem Testament können Sie daher Ihre Ehefrau zur Alleinerbin einsetzen und Ihren Sohn auf den Pflichtteil setzen sowie festhalten, dass seit dem Jahr 2016 ein gänzlicher Kontaktabbruch besteht und Sie daher den Pflichtteil Ihres Sohnes um die Hälfte mindern.
Für den Fall, dass zum Zeitpunkt Ihres Todes der gänzliche Kontaktabbruch bereits mehr als zehn Jahre bestand, wäre die Pflichtteilsminderung dann voraussichtlich gültig.
Würde Ihr Sohn nach Ihrem Tod behaupten, dass kein gänzlicher Kontaktabbruch stattgefunden hat und die Pflichtteilsminderung Ihrerseits daher zu Unrecht erfolgt ist, müsste er dies auch beweisen.
Durch eine Einigung über einen Pflichtteilsverzicht könnte ein Streit zwischen Ihrer Witwe und Ihrem Sohn nach Ihrem Tod vermieden werden, weshalb es sicher sinnvoll ist, eine Lösung schon zu Lebzeiten anzustreben. Der Pflichtteilsverzicht erhöht die Pflichtteile der anderen Pflichtteilsberechtigten nicht. Sollte ein Pflichtteilsverzicht mit Ihrem Sohn doch noch möglich sein, können Sie über den frei gewordenen Anteil danach frei verfügen.
Rechtsanwältin Dr. Maria In der Maur-Koenne beantwortet juristische Fragen zu praktischen Fällen aus dem Reich des Rechts.
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