Polly Adlers "Chaos de Luxe": Sentimentale Reise mit Chanel
Einmal muss ein Franzose in die Liebesbio
Kürzlich lag ich mit Grippe flach. Ich bin nicht ungern krank. Man kann den Verantwortungsballast ohne schlechtes Gewissen wie High Heels von sich schmeißen. Reizende Menschen stellten sich mit dem "jüdischen Aspirin" Hühnersuppe ein, und beim Online-Greißler orderte ich Ingwer-Saftkuren, aber auch liebes Unvernünftiges wie einen Apfelkuchen. Nur das Kind nervte, indem es im Stundentakt ins Telefon kläffte: "Vergiss nicht: Dein Herz ist so alt wie du" und "Rühr dich ja nicht aus dem Bett!" Sie ist Hobby-Hypochonderin und geht immer vom Schlimmsten aus.
Auf der Suche nach meiner Hausapotheke stolperte ich über eine Kiste, in der viele blassblaue Briefe, eng beschrieben, lagerten. Ihr Schöpfer: Jean-François, La Rochelle 1979. Da wimmelte es nur von "Mon ange!", "Mon amour" und dem ganzen Tralala.
Ich war 16. Und von da an ging es, was die romantischen Ambitionen der Gegenparteien betrifft, nur mehr bergab.
Deswegen mein Rat: Bevor man stirbt, sollte man zumindest ein einziges Mal von einem Franzosen geliebt worden sein. Cyrano war nun einmal kein Wiener. Ich versuchte, meinen Ex-Cyrano zu googeln. Keine Spur. Ich durchkämmte bang circa 700 Todesanzeigen mit dem Nachnamen Boutet – ohne Erfolg. Vielleicht lebte er netzverweigernd mit einer Gattin namens Pascale, Glatze und einem Labrador namens Sarkozy in einer beschissenen Stadt wie Amiens, die Kinder waren außer Haus, und er fand Trost beim Golfspiel, der Gartenarbeit und bei der Ordinationshilfe seines Kardiologen.
Ich verweigerte diese Art von Realitätsaufprall, denn die Briefe rochen noch immer nach dem Mon-amour-Chanel-Duft. Das Leben ist ohnehin realistisch genug.
Tipp
Lesung des Polly-Krimis mit Reinsperger & Wendelin im Rabenhof am 19.10.2025 um 11 Uhr
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