Aufblühen
Sie
Das Frühjahr kommt, und macht Manches neu. Auch beim Mann gegenüber. Aus seiner Sicht war der Begriff „Garten“ bisher damit verknüpft: sich von der Sonne die Wangen kitzeln lassen, ein kühles Bier trinken, lesen, sich von der Sonne die Glatze kitzeln lassen, ein kühles Bier trinken, grillen. Der Rest: Sklavenarbeit, angeordnet von gnä Grün als Gefährtin an seiner Seite. Sie wissen schon: die, die mit den Pflanzen flüstert. Hie und da tätschelte er meine Wangen, und sagte: Sehr fein, wie unser Garten ausschaut, vermutlich im Glauben, nachts würde ein Horde Wichteln durch die Beete fegen und Flower Power zaubern. Als Ober-Wichtel reagierte ich dann oft patzig: „Hey, das macht sich nicht von selbst.“ Er: Jo eh.
Sein Mini-Garten
Umso erstaunlicher war seine Reaktion, als ich ihm unlängst die ersten Krokusse im Beet zeigte. Noch vor einem Jahr hätte er dazu irgendwas Höfliches gesagt, und sich zügig in einen Essay vertieft – Titel: „Fußball. Eine Religion“. Diesmal aber hörte ich ein: Jö! Sowie: Duhu! Sowas hätte ich auch gerne in meinem Mini-Garten. Weil dort, wo er jetzt haust, gibt es ebenfalls ein bisserl Frei-Raum, nicht nur im metaphorischen Sinn. Dessen aktuellen Zustand könnte man, optimistisch betrachtet, als „wildromantisch“ bezeichnen. Da geht noch was. Das weiß er. Womit ich als Ober-Wichtel erneut ins Spiel komme, den er unlängst mit dem verrücktesten Satz in 24 Jahren Beziehung verblüffte: Würdest du mir mit dem Garten helfen? Bitte! Sowie: Ich möchte demnächst Pflanzen kaufen fahren, kommst du mit? Vermutlich wirkte mein Gesichtsausdruck in diesem Moment, als hätte mir gerade jemand gesagt, ich wäre mit 61 zur Miss Universum gekürt worden. Ich war knapp an der Schnappatmung. Mittlerweile finde ich die Idee durchaus reizvoll, im Gedanken an eine sehr alte Garten-Wichtel-Weisheit: „Wer anderen eine Blüte sät, blüht selber auf.“
Er
Unlängst traf ich eine Nachbarin, die erst einen Vortrag über die mangelnde Papiermist-Disziplin der Anlagen-Bewohner hielt, um dann zu sagen: „Aber im Garten müssen’s im Frühjahr schon was machen, gell?“ Es klang freundlich, aber dahinter verbarg sich ein Auftrag. Ich antwortete: „Ja, freilich, ich habe schon tausend Ideen.“ Ehe ich meinen Karton mustergültig faltete und mit der Gewissheit in meine Höhle zurückkehrte, nicht den geringsten Plan zu haben, wie ich dem Gärtlein Leben einhauchen könnte. Ich blickte in die Gestrüpp-Landschaft, betrachtete meinen Daumen, der alles ist, nur nicht grün, und dachte mir: Ach du lieber Himmel! Dann fiel mir die Frau von gegenüber ein, die mit Leidenschaft Bücher liest, die z. B. „Pflanzenpersönlichkeiten erkennen“ heißen. Und die ihr botanisches Wissen stets zur Paradies-Erschaffung einsetzte.
Visionen
Aber ich zögerte, sie zu fragen, ob sie nicht den einen oder anderen Ratschlag hätte – für jemanden, der erfahrungsmäßig nicht einmal den Status eines Setzlings besitzt. Wissend, dass bei gnä Kuhn aus einem Tipp zehn Tipps, und aus zehn Tipps hundert Tipps werden. Und antizipierend, dass ich ab dann von früh bis spät zum Erdmännchen verdammt sein würde. Aber irgendwann lud ich meine Frau doch zum Lokalaugenschein. Sie spazierte in Gedanken versunken die paar Garten-Quadratmeter ab, um mir mit dem Selbstverständnis von Flora et labora zu offenbaren: Ich kann vor meinem geistigen Auge alles genau sehen. Das hatte ich befürchtet. Es folgten Topf-und-Beet-Visionen von Pelargonien über Hortensien bis Kapuzinerkresse. Ehe sie meinte: Blaue Himmelsleitern oder Kuhschellen wären auch nett. Und ich mich nicht zu sagen traute, dass ich von diesen Blumen noch nie in meinem Leben gehört hätte. Stattdessen stöhnte ich: „Na bumm, das wird a Hack’n“. Und sie: Naja, nimm„ es als kontemplative Mission. Womit sie mir sagte, dass ich recht habe – durch die Blume halt.
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