Kriegswirklichkeiten: Kinder und Gewalt
Der Blick auf die lernenden, betenden und spielenden Kinder lässt mich fast vergessen, dass Gewalt an Kindern eine allgegenwärtige Realität ist. In diesen sommerlichen Tagen genieße ich es besonders, von woher auch immer in die Innenstadt zurück zu kommen und die Silhouette des Stephansdomes zu erspähen – ob von der Reichsbrücke, der Josefstädter Straße oder vom Donaukanal aus. Natürlich gibt es in unserer wunderschönen Innenstadt noch andere attraktive Landmarks wie das Rathaus oder den Ringturm.
Seit einigen Jahren nützt der rührige Vorstandsvorsitzende der Wiener Städtischen, Dr. Günter Geyer, den Ringturm mit seiner riesigen Außenfläche als Stadtgalerie. Bis September ist dort das insgesamt 4000 Quadratmeter große Kunstwerk des weltberühmten zeitgenössischen Wiener Künstlers Gottfried Helnwein mit dem Titel „I saw this“ zu sehen: ein junges Mädchen mit einer automatischen Schusswaffe im Anschlag und eine 3-D-Manga-Figur vor einer explodierenden brennenden Stadt.
„I saw this“
Beim ersten Anblick sind viele Betrachter verstört, selbst manche Kunstliebhaber können den Kinderdarstellungen von Helnwein nichts abgewinnen – schnüren ihnen die dramatischen Gewaltdarstellungen doch oft die Kehle zu. Helnwein möchte jedoch nicht verstören, sondern aufrütteln und dem Gefühl der Hilflosigkeit entgegen wirken. Für ihn ist Kunst, die sich mit dem Schrecklichen auseinandersetzt, ein Beitrag zur Hoffnung. In der künstlerischen Tradition von Francisco de Goya (1746–1828) sollen seine Kunstwerke die Menschen mit den oft schwierigen Bedingungen ihrer Existenz versöhnen.
Helnwein versteht sie als doppelten Gedankenanstoß: Einerseits müssen Kinder in geografisch erschütternd nahe gelegenen Regionen die Last der Gewalt und des Krieges tragen, andererseits beschäftigen sich schon die Jüngsten – oft sehr unbedacht – in Computerspielen mit den gewaltvollen Kriegswirklichkeiten.
Ist die Realität der Gewalt zu bewältigen? Kann Kunst etwas verändern? Starkünstler Helnwein ist überzeugt, dass durch die Ästhetik der Kunst die Unentrinnbarkeit des Schreckens transzendiert und relativiert werden kann. Punktuell aufrüttelnde Darstellungen von Gewalt wirken einem Missbrauch in jeder Form entgegen. Mögen viele in den Mußestunden der Sommerferien gestärkt werden, jeglicher Gewalt an Kindern tatkräftig entgegenzuwirken.
Der Autor ist Dompfarrer zu St. Stephan. Mails an: dompfarrer@stephansdom.at
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