Johannas Fest: Warum wir (nicht) trinken

einen Alkohol zu trinken, für einen Abend, für einen Monat, für immer – das stößt oft noch auf Unverständnis.

Vergangenen Sonntag waren wir anlässlich des Neustifter Kirtags zu einem Empfang im Garten von Freunden eingeladen. Gleich vor dem Haus hielten die Busse der Wiener Linien, aus denen meist jugendliche Dirndlträgerinnen und Burschen in Lederhosen herausströmten, um sich auf ihre promillereichen Passionswege zu begeben. „Sehen und gesehen werden“ in den feschen Monturen, sich amüsieren, „abshaken“ und dabei ordentlich über den Durst trinken, das ist es im Wesentlichen, was den Kirtag-Zauber im Wiener Weinbaugebiet ausmacht.

Feuchtfröhlich ging es auch bei unserer privaten Einladung zu. Die rund vierzigköpfige Gästeschar österreichischer, ukrainischer und russischer Provenienz war extrem ausgelassen. Toasts wurden ausgesprochen und irgendwann floss nicht mehr bloß Wein, sondern sogar Wodka.

Ein Paar hielt sich strikt an Mineralwasser, war dabei aber nicht minder fröhlich als der Rest der Gesellschaft. „Wir trinken seit ein paar Jahren keinen Alkohol mehr“, erklärten Carla und Michael. Sie sei auf Null-Promille umgestiegen, als sie mit ihrer ersten Tochter schwanger war, er wegen einer Histamin-Unverträglichkeit, erläuterten die beiden. – Warum sie ihre Abstinenz überhaupt unaufgefordert begründeten?

Keinen Alkohol zu trinken, für einen Abend, für einen Monat, für immer – das stößt oft noch auf Unverständnis.

Erklärungsbedarf

„Wir müssen reden. Über das Trinken. Oder das Nicht-Trinken. Oder über die Gesellschaft, in der Menschen, die nicht trinken (und sei es auch nur an einem Abend), das irgendwie allen immer erklären müssen. Schwanger? Moslem? Trockener Alkoholiker? Autofahrer? Alles auf einmal? Auf jeden Fall: Spaßbremse“, resümiert die deutsche Kunsthistorikerin, Buchautorin und Bloggerin Nicole Klauß und stellt die Gegenfrage: „Was würde wohl passieren, wenn man die Teilnehmer der trinkenden Tischgesellschaft fragen würde, warum sie trinken? Alkoholproblem? Anderes Problem? Verdrängung? Ein Stimmungskiller. Übergriffig.“

– Stimmt! Doch die Wahrscheinlichkeit, dass Konsumenten geistiger Getränke nach ihren Beweggründen für ihr Trinkverhalten gefragt werden, ist höchst gering. Ausgenommen natürlich sind Fälle, in denen so tief ins Glas geschaut wurde, dass die Wirkung nicht mehr als belebend oder beschwipsend, sondern eindeutig berauschend ausfällt. Wer voll abgefüllt torkelt, lallt oder gar unter den Tisch fällt, hat nicht nur die Kontrolle über sich selbst verloren, sondern gilt auch als „Underdog“.

Anders war das im Mittelalter, wo gerade in den gehobenen Gesellschaftsschichten, nämlich beim Adel und beim Klerus, exzessives Trinken zu einem repräsentativen Festmahl dazugehörte. Eine Festfreude, der übrigens auch die Renaissance- damen nicht abhold waren.

„In Europa wird seit Jahrhunderten Alkohol getrunken, aus Hygienegründen, aus Lust am Rausch, um für einen Moment vor der Realität zu flüchten – und natürlich last not least: wegen des Genusses“, weiß Klauß.

Gegen Ende unserer Party im Privatgarten sucht Olga verzweifelt nach einer Zigarette. Unter den Gästen keine einzige Person, die raucht. Vor dreißig Jahren galt auch das Ziehen am Glimmstängel noch als Genuss. Ob dereinst in geselligen Runden der Griff zum Glas Wein genauso Geschichte sein wird, wie heute der Tabakkonsum?

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