Johannas Fest: Ein Festmahl für Fortgeschrittene

Eine Thanksgiving-Einladung ist für unroutinierte KöchInnen eine ziemliche Herausforderung, die allerlei Risiken birgt.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Vergangenen Donnerstag lud unsere Freundin Gretl zu einer Thanksgiving-Feier zu sich nach Hause. Die ebenso charmante wie erfolgreiche Unternehmerin kommt aus Tirol, ihre langjährige Geschäftspartnerin aus New York City. Drüben, über dem Atlantik, ist Thanksgiving der wichtigste Feiertag im Jahr. Am jeweils vierten Donnerstag im November versammeln sich Familien und Freunde rund um einen reichlich gedeckten Tisch, in dessen Mittelpunkt der Truthahn steht.

Diese Tradition ist übrigens älter als die USA. Ins Leben gerufen sollen sie die ersten europäischen Einwanderer haben. Laut Überlieferung seien viele von ihnen im ersten Winter an Hunger gestorben. Hilfe suchend hätten sie sich an die Ureinwohner Amerikas gewandt, die ihnen Fischen, Jagen und den Anbau von Lebensmitteln beigebracht hätten.

Im darauffolgenden Jahr soll die Ernte so reich gewesen sein, dass die Europäer ihre Helfer zu einem mehrtägigen Festmahl eingeladen hätten.

Eine Thanksgiving-Einladung ist für unroutinierte KöchInnen eine ziemliche Herausforderung, die allerlei Risiken birgt: Das beginnt schon bei der Kalkulation, wie viele Gäste von einem zum Beispiel viereinhalb Kilogramm schweren Truthahn satt werden; bedarf einer generalstabsmäßigen Planung für Einkauf und Zubereitung der vielen Beilagen von Süßkartoffeln, Cranberrysauce bis Kürbiskuchen und die Berechnung der idealen Garzeit für den Braten.

Der 2020 verstorbene Jahrhundertkoch Jörg Wörther schwor auf Langsamkeit: Er schob das Geflügel bei siebzig Grad für vierundzwanzig Stunden ins Rohr. Das Ergebnis beim Meister: innen butterweich, dennoch mit herzhaftem Biss und einer bildschönen goldbraunen Kruste, die beim Schneiden nur so krachte. Einmal und nie wieder war ich so risikofreudig, mich in der Nachahmung zu erproben. – Ein Debakel: Das Fleisch war zwar durch, aber von wabbeliger Konsistenz, ideal für Träger der dritten Zähne und natürlich fehlte auch die köstliche Kruste.

Turkey to go

Das war zwar enttäuschend aber noch ein verkraftbarer Schaden, im Vergleich von jenem, den mein Freund Martin von einem Thanksgiving-Fest heimnahm: Der Truthahn war nicht ganz durch, die Erinnerung an das Festmahl manifestierte sich bei den Gästen darin, dass sie die nächsten drei Tage an einer Lebensmittelvergiftung laborierten.

Zurück zum vergangenen Donnerstag: Meine Freundin Gretl ist geschäftstüchtig, was auch Risikobereitschaft erfordert. Ihre Gästeschar ist immer bunt gemischt, kommt aus aller Herren Länder und von der BankerIn über den Rechtsanwalt bis zum Konzertpianisten sind die unterschiedlichsten Zünfte geladen. – So divers, so lustig!

Gott sei Dank war auch ein Notfallmediziner unter den Gästen; nicht etwa, weil jemand bei der fröhlichen Party gestürzt wäre oder drohte, nach dem Verschlucken eines feinen Geflügelknöchelchens zu ersticken. Nein, die Notoperation galt einem anderen „Patienten“: Was Kulinarik betrifft, setzt Gretl gern auf Vollkasko. Bei einem US-amerikanischen Innenstadthotel hatte sie „Turkey to go“ geordert und ein fast fertig gegartes Prachtexemplar von Truthahn erhalten. So weit, so sicher. – Allein, er passte nicht in ihr Rohr. Dank der Tranchierkunst des Unfallchirurgen war das pfundige Geflügel im Nu zerlegt und kam eine halbe Stunde später durchgegart auf die Teller. Operation gelungen, Gäste glücklich, satt und zufrieden.

Thanksgiving, Thanksdoc!

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