Fabelhafte Welt: Autsch, mein Finger!
Freude kann auch schiefgehen. Sie kennen das von YouTube: Kinder, die auf dem Bett hüpfen und in einem ungewollten Salto hinunterkrachen. Oder Hunde, die beim heftigen Schwanzwackeln Selbigen anzünden. Leider hielt niemand eine Kamera auf mich, als ich neulich aufsprang, um meinen besten Freund zu umarmen, der gerade Vater geworden war. Trunken vor Glück bemerkte ich nicht, dass der linke Finger noch im Henkel eines Stoffsackerls festhing, welches wiederum unter dem Tisch festhing. Es stellte sich heraus, dass in einer Auseinandersetzung zwischen Tisch, Jutebeutel und Schriftstellerinnenfinger Letzterer das schwächste Glied ist. Was ich jedoch zunächst nicht merkte, denn bei Freudenverletzungen spürt man den Schmerz oft vor lauter Endorphinen nicht. Und wenn man feiert, dass eine Freundin heroische 36 Stunden Wehen hinter sich gebracht hat, ist ein zwickender Finger sowieso lächerlich. Doch als ich den Delinquenten bei Licht betrachtete und der Fingernagel nicht mehr an seinem angestammten Platz war, meldete ich mich beim frisch gebackenen Vater ab und fuhr ins Spital. Vor Freude aufgekratzt, spürte ich noch immer keine Schmerzen. Und dann befiel mich die Angst, dass ich eines jener Mimöschen sein könnte, das wegen einer läppischen Kleinigkeit, die auch der Hausarzt versorgen könnte, spätnachts die Kapazitäten einer Notfallambulanz belegt. Diese Befürchtung verbalisierte ich beim Röntgen, bis der Radiologe sagte: „Keine Sorge, der Finger ist sogar fünf Mal gebrochen.“ Tatsächlich war ich erleichtert, die Ärzte nicht umsonst mitten in der Nacht zu belästigen. Beim frisch gebackenen Vater musste ich mich entschuldigen, nicht mehr zur Feier zurückzukehren. Aber er war mir nicht böse. Denn Blumen bringen kann jeder, sich aber vor Freude über eine Geburt den Finger zu brechen, das ist Freude für Fortgeschrittene.
vea.kaiser@kurier.at
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