Fabelhafte Welt: Zum Glück gezwungen
Zum ersten Mal im Leben verstehe ich den Hype um den Sommer. Als Kind packte mich schiere Beklemmung, sobald die letzten Schularbeiten geschrieben waren. Ich atmete erst wieder auf, wenn ich frischen Schulbedarf besorgen durfte. Unbeschriebene, jungfräuliche Hefte waren Garantie, dass die quälende Langeweile bald vorbei wäre. Später empfand ich Sommer als Arbeitshindernis: Im Gegensatz zu meinem Göttergatten, der ob seiner süditalienischen Gene erst ab 25 Grad auf Betriebstemperatur kommt, überhitzen bei mir die Denkbatterien, sobald es heiß wird. Doch heuer ist alles anders.
Heuer las ich unter der Sonne knapp dreißig Bücher, segelte, und sah die liebsten Freunde – kaum jemand war verreist. Zugegeben: ich wurde in Ermangelung von Aufträgen und Auftritten zu meinem Glück gezwungen, und genoss die unfreiwillige Freizeit auch deshalb so sehr, weil mich dieses Jahr eine gewisse Gelassenheit gelehrt hat, unveränderbare Widrigkeiten anzunehmen, statt darüber zu granteln. Doch nun hab ich ein Problem: Seit ein paar Tagen bin ich schrecklich wehmütig, weil der Sommer endet. Es ist eigentlich verrückt, dass es für dieses ganz besondere Gefühl der Wehmut, sobald die Temperaturen sinken, die Tage kürzer und geschäftiger werden, kein eigenes Wort gibt. Ich bin mir sicher, Sie wissen, wovon ich schreibe: Von dieser speziellen Schwere des Herzens beim Gedanken daran, fast ein Jahr warten und durch Kälte wie Dunkelheit wandeln zu müssen, bis man wieder Badebekleidung statt Unterwäsche tragen, sich von Gegrilltem, Paradeisern und Wassermelonen-Feta-Salat ernähren, und darüber grübeln kann, wo man sich heute abkühlt oder wen man zu einem Gläschen Rosé unter freiem Himmel bittet. An dieser Stelle stößt meine Gelassenheit, unveränderbare Widrigkeiten anzunehmen, an ihre Grenzen. Ach lieber holder Sommer, komm bitte bald wieder!
vea.kaiser@kurier.at
Kommentare